Aus dem Inhalt
Aus dem Inhalt:
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Jørgen Dines Johansen und Roland
Posner: Einführung, p.233
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Mark Turner und Gilles Fauconnier:
Begriffmischung und Metapher, p.247 (abstract/
Zusammenfassung)
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Eve Sweetser: Über gleich gerichtete
metaphorische Projektionen in Literatur und Alltagssprache: Der Dialog
zwischen Portia und Brutus in Shakespeares Julius
Caesar, p.269 (abstract/ Zusammenfassung)
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Dagmar Burkhart: Der Motivkomplex hinten/unten
als Mittel der Profanierung, der Parodie und der Dekonstruktion, p.299 (abstract/
Zusammenfassung)
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Jørgen Dines Johansen: Analogie und
Fabel in der Literatur, p.321 (abstract/
Zusammenfassung)
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Svend Erik Larsen: Negative
Stadtmetaphern, p.337 (abstract/
Zusammenfassung)
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Alexandros Ph. Lagopoulos: Raum und
Metapher, p.361 (abstract/
Zusammenfassung)
Erhebung
Veranstaltungen; Veranstaltungskalender; Förderpreis
Semiotik der DGS; Nachrichten der SGS/ASS; Vorschau auf den Thementeil der nächsten
Hefte.
Mark Turner und
Gilles Fauconnier,
Begriffsmischung und Metapher
Summary.
Widespread metaphors such as “he exploded” project physical categories to
emotional phenomena. The traditional two-domain model of metaphor postulates
that in such cases the source domain enables the understanding of the target
domain. The authors prove that this model is sufficient to explain culturally
entrenched metaphors, but fails to cope with more creative cases. They propose a
more sophisticated multi-space model of conceptual projection which contains the
blend as an additional domain. The power of this model is demonstrated by
several analyses, e.g., of the “Grim Reaper”, the “Birth Stork”, the
desktop metaphor of man-machine interaction as well as the decapitated speaker
in Dante’s Inferno.
Zusammenfassung. Geläufige Metaphern wie „Er platzte vor Wut“ übertragen
physikalische Kategorien auf emotionale Erscheinungen. Das herkömmliche
Zweibereichsmodell der Metapher postuliert, dass in solchen Fällen der
Quellbereich das Verstehen des Zielbereichs ermöglicht. Die Autoren weisen
nach, dass dieses Modell nur bei kulturell verwurzelten erstarrten Metaphern zur
Erklärung ausreicht, aber bei kreativeren Metaphern versagt. Sie schlagen ein
wesentlich differenzierteres Mehrbereichsmodell der Begriffsprojektion vor, das
als zusätzlichen Bereich ein Quell-Ziel-Gemisch enthält. Um das Erklärungspotenzial
dieses Modells nachzuweisen, werden mehrere Beispiele analysiert, darunter der
„Sensenmann“, der „Klapperstorch“, der „Desktop“
(‚Schreibtischoberfläche‘) im Kontext der Mensch-Maschine-Interaktion sowie
der enthauptete Sprecher aus Dantes Inferno.
Eve Sweetser, Über gleich gerichtete metaphorische Projektionen in
Literatur- und Alltagssprache: Der Dialog zwischen Portia
und Brutus in Shakespeares Julius Caesar
Summary. Analysis
of English metaphor systems shows a pervasive correlation between up-down vertical
models of Self and Society and in-out container models (e.g., the social
“top dogs“ may also be the “in crowd“). Examination of these two
apparently separate metaphor systems, and of their bodily experiential bases,
shows why they should be interlinked in such a way. It further suggests the
possibility of deeper relationships between supposedly competing or alternative
metaphoric understandings of the same domain in other basic aspects of human
understanding. In Shakespeare’s Julius Caesar, these metaphors are
pervasive and correlated, as in modern English – indeed, this complex
metaphoric system seems basic to the play’s thematic structure, and to
resolving the play’s deep moral ambiguities. Such cognitive linguistic
analysis of metaphor systems can be useful to literary analysis; in this case,
it also contributes to cross-cultural comparison of cognitive systems, in giving
access to an earlier text.
Zusammenfassung. Die Analyse des Metaphernsystems im Englischen zeigt
eine durchgehende Beziehung zwischen Vertikalitäts-Metaphern (oben-unten) und
Behältermetaphern (innen-außen) für Selbst und Gesellschaft (z.B. sind
die „Oberen des Staates“ auch „im Zentrum der Macht“). Eine Untersuchung
dieser beiden scheinbar getrennten Metaphernsysteme und ihres körperbezogenen
Erfahrungshintergrunds zeigt, wie es zu dieser Gleichgerichtetheit kommt. Dabei
deutet sich die Möglichkeit an, dass auch in anderen Bereichen des menschlichen
Verstehens solche grundlegenden Beziehungen zwischen scheinbar konkurrierenden
oder auswechselbaren metaphorischen Beschreibungen desselben Gebiets vorhanden
sind. In Shakespeares Julius Caesar treten diese Metaphern durchgehend
auf und entsprechen einander wie im heutigen Englisch – das komplexe
Metaphernsystem scheint sogar grundlegend für die thematische Struktur des Stücks
zu sein und seine tiefe moralische Mehrdeutigkeit aufzulösen. Eine solche
Metaphernanalyse der kognitiven Linguistik kann für die Literaturanalyse
hilfreich sein; in diesem Fall trägt sie darüber hinaus zum Vergleich der
kognitiven Strukturen verschiedener Kulturen bei, indem sie uns einen Text aus
einer früheren Zeit erschließt.
Dagmar
Burkhart, Der
Motivkomplex hinten/unten als Mittel der Profanierung, der
Parodie und der Dekonstruktion
Summary. This contribution begins by showing to what degree humans
have made their body a model of the universe. It describes the partition of the
unclothed body into three components (head, trunk, and legs) and the partition
of the clothed body into an upper half oriented forwards and a lower half
oriented backwards. In all cultures above and in front are
conceived as positive, below and in the back as negative. This
leads to varied strategies of meaning production in the various arts and text
genres of each culture. The present contribution uses texts from the history of
Russian literature and their common European pre-texts to analyze three
paradigms of the utilization of the “arse” motif: (1) its occurrence in the
Grobianism of the literature of foolery and of laughter, where it serves to
degrade persons, to parody texts, and to profane sacred myths and rituals, (2)
the substitution of the highly raised arse for the highly raised head as a means
to destroy traditional metaphors and to decompose canonized text genres in
Futurism, and (3) the utilization of the obscene style level in the postmodern
literature of the Soviet Union with the effect of deconstructing totalitarian
discourse patterns.
Zusammenfassung. Dieser Beitrag zeigt zunächst, wie sehr der Mensch
seinen Körper zum Maßstab des Universums gemacht hat. Untersucht wird die
Einteilung des unbekleideten Körpers in die drei Bestandteile Kopf, Rumpf und
Beine und die Zweiteilung des bekleideten Körpers in eine obere nach vorn
orientierte und eine untere nach hinten orientierte Hälfte. Oben und vorne
werden kulturübergreifend positiv gewertet, unten und hinten negativ.
Daraus ergeben sich in den verschiedenen Künsten und Textgenres einer Kultur
unterschiedliche Strategien der Sinnproduktion. Der vorliegende Beitrag
untersucht an Hand von Textbeispielen aus der Geschichte der russischen
Literatur und deren gesamteuropäischen Prätexten drei Paradigmen der
Verwendung des Hintern-Motivs: (1) seinen Einsatz im Grobianismus der
Narrenliteratur sowie der Lachkultur allgemein, wo es als Metaphernquelle dient
zum Zweck der Erniedrigung von Menschen, der Parodierung von Texten und der
Profanierung sakraler Mythen und Rituale, (2) die Vertauschung des hoch
erhobenen Haupts mit dem hoch erhobenen Hintern im Futurismus als Mittel zur
Zerschlagung herkömmlicher Metaphorik und zur Zerstückelung kanonisierter
Textgenres und (3) das Ausweichen auf die obszöne Stilebene in der postmodernen
Literatur der Sowjetunion zur Dekonstruktion totalitaristischer Diskursmuster.
Jørgen Dines Johansen, Analogie
und Fabel in der Literatur
Summary.
This contribution shows that the formation of analogies is constitutive of
literary discourse, and it treats metaphors as special cases of analogy on the
semantic level. The structure of analogy is first characterized with respect to
its logical function by specifying the relationship between analogy and the
inferential patterns of induction, deduction, and abduction (hypothesis). It is
then characterized with respect to its mathematical function by distinguishing
arithmetic analogy from geometric analogy, and harmonic analogy. Finally,
analogy is treated in the context of rhetoric, where the relationship between
analogy, simile and metaphor is elucidated and the reason for the semantic
indeterminacy of analogies and metaphors is explained. A study of the
interaction of analogies on the various linguistic levels of a poem follows. The
article ends by analysing narrative literature and pointing out its hypothetical
character. It transpires that narration is not possible without argumentation,
and that both are based on the construction of analogies.
Zusammenfassung. Dieser Beitrag zeigt, dass die Analogiebildung
konstitutiv ist für den literarischen Diskurs, und behandelt Metaphern als
Sonderformen der Analogie auf semantischer Ebene. Die Struktur der Analogie wird
zunächst charakterisiert im Hinblick auf ihre Funktion in der Logik und ihr
Verhältnis zu den Schlussformen der Induktion, Deduktion und Abduktion
(Hypothese). Dann wird sie im Hinblick auf ihre Funktion in der Mathematik
behandelt, wobei zwischen arithmetischer, geometrischer und harmonischer
Analogie unterschieden wird. Schließlich wird die Funktion der Analogie in der
Rhetorik beschrieben, wobei die Beziehung zwischen Analogie, Gleichnis und
Metapher erläutert und der Grund für die semantische Unbestimmtheit von
Analogie und Metapher erklärt wird. Es folgt eine Analyse des Zusammenwirkens
von Analogien auf den verschiedenen Sprachebenen im Gedicht. Abschließend wird
die erzählende Literatur einbezogen und deren hypothetischer Charakter
herausgearbeitet. Wie sich zeigt, gibt es Narration nicht ohne Argumentation,
und beide sind auf Analogiebildung angewiesen.
Svend Erik Larsen, Negative
Stadtmetaphern
Summary.
In literary studies metaphors are often regarded as purely verbal phenomena,
whereas cognitive semantics takes metaphors to be mental processes independent
of the medium in which they are manifested. In contrast to these approaches, the
present contribution understands metaphor as being shaped by the way in which a
given medium articulates relations of similarity. In addition, metaphor is
treated as a pragmatic, i.e. context-dependent and dialogic, phenomenon and not
as a purely logical one. On the basis of this approach it is asked how and why
negation in metaphors does not eliminate the metaphorical process, but
constitutes a specific way of supporting it, suitable for the semiotization of
dynamic cultural phenomena such as the modern metropolis.
Zusammenfassung. In der Literaturwissenschaft hält man Metaphern oft
für rein sprachliche Erscheinungen, während die kognitive Semantik Metaphern
als geistige Prozesse betrachtet, die unabhängig sind von dem Medium, in dem
sie auftreten. Im Gegensatz zu diesen beiden Ansätzen begreift der vorliegende
Beitrag die Metapher als medienspezifischen Prozess, der dadurch geprägt ist,
wie ein gegebenes Medium Ähnlichkeitsbeziehungen ausdrückt. Die Metapher gilt
hier nicht als bloß logisches Phänomen, sondern wird als pragmatisch, d.h.
kontextabhängig und dialogisch aufgefasst. Von diesem Standpunkt aus wird
untersucht, wie und warum man mit der Verneinung einer Metapher nicht den
Metaphernprozess zum Erliegen bringt, sondern ihn im Gang hält und damit sogar
dynamische Kulturerscheinungen wie die moderne Großstadt der Semiotisierung zugänglich
macht.
Alexandros Ph. Lagopoulos, Raum
und Metapher
Summary.
Proceeding from the thesis that there is no metaphor without metonymy, a thesis
based on the work of Jakobson, Lévi-Strauss, Greimas, and Eco, the present
essay studies the spatial metaphors realized in buildings and settlement areas
as enriched metonymies. Cultures are treated as systems of semantic codes which
are partially isomorphic so that the semes of one can refer to the semes of the
other. In this framework, the European Middle Ages are understood as a
pan-metaphoric culture which uses the semes of the zoomorphic and phytomorphic
code as metaphors for semes of the religious code. Similar conceptions are to be
found in the precapitalist societies of non-Western cultures, for example in the
Fali of Kangu in Cameroon, whose cosmogonic myths identify the structure of
human bodies and human families with the structure of their dwellings and
settlements. In contrast, the capitalist societies of Western cultures have
developed independent architectural and settlement codes with house and town
models of their own: the progressivist model, which interprets the house as a
dwelling-machine and the town as an organism structured according to the various
functions of life; the culturalist model, which orients itself at the building
forms and settlement forms of the past; and the naturalist model, which no
longer designs houses and towns in opposition to nature, but as part of it. In
differing ways, all three models are based on the metaphor of organs and
organisms. Postmodernism deconstructs these models by deliberately eclecticistic
choices and combinations of building and settlement forms selected from all over
the world, which metaphorically express a postulated genius loci or a
theme belonging to it.
Zusammenfassung. Ausgehend von der These, dass es keine Metapher ohne
Metonymie gibt, die durch Überlegungen von Jakobson, Lévi-Strauss, Greimas und
Eco begründet wird, untersucht der vorliegende Beitrag die Raummetaphern der
Gebäude- und Siedlungsformen als angereicherte Metonymien. Kulturen werden als
Systeme von semantischen Kodes behandelt, die teilweise strukturgleich sind, so
dass die Seme des einen auf die entsprechenden Seme des anderen verweisen können.
Das europäische Mittelalter lässt sich in diesem Rahmen als panmetaphorische
Kultur verstehen, in der die Seme aus dem zoomorphen und dem phytomorphen Kode
als Metaphern für Seme aus dem religiösen Kode verwendet werden. Ähnliches
gilt auch für die vorkapitalistischen Gesellschaften nichtwestlicher Kulturen
wie zum Beispiel die Fali von Kangu in Kamerun, die aufgrund ihrer mythischen
Kosmogonien metaphorische Identifizierungen vornehmen zwischen der Struktur
menschlicher Körper und Familien und der Struktur ihrer Behausungen und
Siedlungen. Die kapitalistischen Gesellschaften westlicher Kulturen haben
demgegenüber unabhängige Architektur- und Siedlungskodes mit eigenständigen
Haus- und Stadtmodellen entwickelt: das Fortschrittsmodell, welches das Haus als
Wohnmaschine und die Stadt als nach Lebensfunktionen gegliederten Organismus
auffasst; das kulturalistische Modell, das sich an den Bau- und Siedlungsformen
der Vergangenheit orientiert; und das naturalistische Modell, nach dem Häuser
und Städte nicht mehr im Gegensatz zur Natur, sondern als Teil derselben
entworfen werden. Allen drei Modellen liegt auf verschiedene Weise die Metapher
von Organ und Organismus zugrunde. Diesen Modellen setzt die Postmoderne die
bewusst eklektizistische Zusammenstellung von Architektur- und Siedlungsformen
aus der gesamten überschaubaren Welt entgegen, welche einen postulierten genius
loci oder ein zu diesem gehöriges Thema metaphorisch zum Ausdruck bringt.
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