Aus dem Inhalt:
- Dilyana Boteva: Einleitung
- Lambert Schneider: Zeichen, Spur, Gedächtnis: Der semiotische Blick und
die Fachwissenschaft Archäologie (abstract/Zusammenfassung)
- Raiko Krauß: Mitteilungen aus der Vergangenheit: Zum Zeichengehalt
archäologischer Funde (abstract/Zusammenfassung)
- Dilyana Boteva: Die Suche nach dem Kode der Weihereliefs einer
schriftlosen Kultur (abstract/Zusammenfassung)
- Armin Jähne: Zeichenprozesse in frühen Kulturen und ihre moderne
Interpretation (abstract/Zusammenfassung)
- Thomas Götzelt: Trümmer, Tropen, Traditionen: Zeichenformen in der
Geschichte der Archäologie (abstract/Zusammenfassung)
Lambert Schneider, Zeichen,
Spur, Gedächtnis: Der semiotische Blick und die Fachwissenschaft
Archäologie Summary. Part 1 of the article traces relations
between archaeology and the theoretical approaches of semiotics and
communications research, structuralism, and constructivism. Discussing the
concepts of “tradition“ and “memory“, the author establishes requirements which
archaeology has to meet if it is to reconstruct past cultures. Part 2 then
presents two applications of processual semiotics to ancient art (women in
archaic Greek sculpture; Thracian imagery). It transpires that the structuralist
analysis of pre-historic artifact systems can be highly productive when it is
brought into connection with assumptions about the rituals in which the
artifacts in question were used. Zusammenfassung.
Untersucht werden zunächst die Beziehungen zwischen Archäologie und
außerarchäologischen Theorieansätzen der Semiotik und Kommunikationsforschung
sowie des Strukturalismus und Konstruktivismus. Aus der Gegenüberstellung von
„Tradition“ und „Gedächtnis“ werden dann die Anforderungen entwickelt, die die
Erforschung vergangener Kulturen an die Archäologie stellt. Schließlich wird
anhand zweier Beispiele (archaischer Frauenstatuen und thrakischer Bildkunst)
die Anwendung einer prozessual erweiterten Semiotik in der Archäologie
vorgestellt. Dabei zeigt sich, wie aussagekräftig die strukturalistische Analyse
prähistorischer Artefaktsysteme sein kann, wenn sie verknüpft wird mit Annahmen
über die Rituale, in denen die betreffenden Artefakte verwendet
wurden.
Raiko Krauß, Mitteilungen
aus der Vergangenheit: Zum Zeichengehalt archäologischer
Funde Summary. This article discusses some semiotic aspects
of the remnants of prehistoric cultures. It starts by analyzing individual
artifacts, continues by studying finds in the context within which they were
discovered, and then discusses the locations of archaeological sites within the
landscape at large. The focus lies on the remnants of tombs and depositories,
since they belong to intentionally designed sign systems. The contribution ends with reflections
on the processes of transformation which archaeological sites undergo after
their excavation. It concludes that archaeological signs regarded within the
context in which they were discovered convey more information than individual
artifacts exhibited in museums. A consideration of the changing aims of
archaeological research since the beginnings of the scientific study of
antiquities leads to the claim that archaeological finds should be
comprehensively documented along with the circumstances of their excavation and
that the excavation sites should be kept intact permanently as archives of the
past. Zusammenfassung. Der Aufsatz beschäftigt sich mit
einigen semiotischen Aspekten der Hinterlassenschaften vorgeschichtlicher
Kulturen. Dabei werden zunächst einzelne Artefakte, dann Funde in ihrem
Auffindungskontext und schließlich die Lagebezogenheit von archäologischen
Fundstellen in der Landschaft unter zeichentheoretischen Gesichtspunkten
betrachtet. Einen Schwerpunkt bildet die Diskussion von Grab- und Depotfunden
wegen ihrer Zugehörigkeit zu intentional angelegten Zeichensystemen.
Abschließend werden die Transformationsprozesse beleuchtet, die der Archäologe
nach der Freilegung von Bodenfunden auslöst. Die Untersuchung stellt klar den
höheren Zeichengehalt von Funden in ihrem ursprünglichen Auffindungskontext
gegenüber vereinzelten Artefakten heraus. Aus der Beobachtung des Wandels in der
Zielsetzung archäologischer Forschungen vom Beginn der wissenschaftlichen
Beschäftigung mit Altertümern bis heute lässt sich über eine möglichst
umfassende Dokumentation der Funde bei Ausgrabungen hinaus die Forderung nach
der Bewahrung der Unversehrtheit von Fundstätten als Archiven der Vergangenheit
ableiten.
Dilyana Boteva, Die
Suche nach dem Kode der Weihereliefs einer schriftlosen Kultur Summary. This article discusses the
contribution which a semiotic analysis of archaeological finds can provide in
the reconstruction of the codes of an ancient or foreign oral culture. The
author presents some Thracian votive reliefs, the data on which was gathered in
a PC database in order to facilitate computer-aided processing. The focus lies
on three factors: the sender of the message (dedicator of the votive relief),
the message itself, and its addressees. The article argues that votive reliefs
of the Thracian Rider are messages which were produced within the framework of a
specific cultural sign system and can only be understood with respect to it.
Their analysis from the perspectives of syntactics, semantics, and pragmatics
provides valuable insights into the character of the most popular Thracian
cult. Zusammenfassung. Der Aufsatz diskutiert den
Beitrag, den die semiotische Analyse archäologischer Funde zur Rekonstruktion
der Kodes einer alten oder fremden schriftlosen Kultur leisten kann. Es geht um
einige thrakische Weihereliefs, deren Daten in eine PC-Datenbank eingegeben
wurden, um die Unterstützung durch einen Computer zu ermöglichen. Drei Faktoren
werden herausgestellt: der Sender der Botschaft (also der Stifter des
Weihereliefs), die eigentliche Botschaft und die Adressaten der Botschaft. Der
Aufsatz argumentiert, dass die Weihereliefs des Thrakischen Reiters Botschaften
sind, die im Rahmen eines kulturellen Zeichensystems geschaffen worden sind und
nur in diesem Rahmen verstanden werden können. Er zeigt, wie ihre Analyse aus
der Perspektive der Syntaktik, Semantik und Pragmatik wesentliche Erkenntnisse
über den Charakter des populärsten thrakischen Kults
liefern.
Armin Jähne,
Zeichenprozesse in frühen Kulturen und ihre moderne
Interpretation Summary. Based on the semiotics of sign
reception, the article starts with a discussion of indications and images used
to express the conventional perceptions of war and peace in Ancient Greece.
These signs were transmitted and have remained understandable for millennia;
they reached their culmination point in the peace-dove symbol created by Picasso
in the 1950s and ’60s. Part two deals with other conventional signs and sign
processes connecting prehistoric oral cultures with our times. Analyzed are
stone artifacts and their development from the primitive chopper to the polished
Neolithic axe. These artifacts can be read as texts of the appropriate culture
which permit inferences on the state of civilization reached by the society in
question. Part three analyzes the sign processes involved in the utilization of
four ceremonial axes from the Bronze Age, Trojan treasure L. A distinction is
made between three types of
semioses, which include two prehistoric ways of dealing with these artifacts as
well as the behavior of modern archaeologists who study them systematically with
the aim of reconstructing the material, social and mental circumstances of their
cultural existence. Zusammenfassung. Im ersten Teil wird von einem lektüresemiotischen
Ansatz aus vornehmlich über jene Anzeichen und Bilder gesprochen, in denen sich
in der griechischen Antike die konventionelle Wahrnehmung von Krieg und Frieden
ausdrückte. Sie haben, weil über die Jahrtausende hin tradiert und verständlich
geblieben, ihre Gültigkeit bis heute nicht verloren und gipfelten in den
1950er/1960er Jahren im Symbol der von Picasso geschaffenen Friedenstaube. Im
zweiten Teil geht es um das Verständnis anderer konventioneller Zeichen und
Zeichenprozesse aus prähistorischer, schriftloser Zeit, vor allem um steinerne
Artefakte: vom primitiven Faustkeil bis zur geschliffenen neolithischen
Steinaxt, die als Texte der ihnen gemäßen Kultur gelesen werden und den jeweils
erreichten Zivilisationsgrad steinzeitlicher Gesellschaften (Gemeinwesen)
erkennen lassen. Im dritten Teil stehen die vier Prunk- oder Zeremonialäxte aus
dem bronzezeitlichen trojanischen Schatz L und die an sie gebundenen Semiosen
exemplarisch im Vordergrund. Unterschieden werden dabei ein ursprünglich
primärer und sekundärer historischer Semiosetyp und ein moderner
archäologischer, auf deren Basis diese Artefakte systematisch mit dem Ziel
untersucht werden, über sie hinausgehende materiale, soziale und mentale
Sachverhalte zu erschließen.
Thomas Götzelt, Trümmer, Tropen, Traditionen:
Zeichenformen in der Geschichte der Archäologie Summary. The few research reports,
which trace the reception of semiotics within archaeology, all diagnose a lack
of theory-guided reflexion about the signs and sign processes that occur in
archaeology. One may try to explain this deficiency with the wide-spread doubts about the
interpretability and explicability of prehistoric signs after the loss of their
original context of use. The
present contribution, however, proposes an alternative explanation: It links the lack of theoretical
considerations with the specific epistemological perspectives in the leading
research paradigms utilized in archaeology, from its Classical and Romantic
beginnings to modern functional differentiation. Zusammenfassung. Die wenigen Forschungsberichte, die der Rezeption
der Semiotik in der Archäologie nachgehen, stellen übereinstimmend ein Defizit
an abstrakter theoretischer Behandlung des Themas fest. Man mag den Grund in den
üblichen Zweifeln daran sehen, ob nach dem Verlust des ursprünglichen Kontextes
überhaupt prähistorische Zeichen noch gedeutet oder erklärt werden können.
Dieser Beitrag schlägt stattdessen vor, das Fehlen von Reflexionen den
erkenntnistheoretischen Vorbedingungen der archäologischen Paradigmen
zuzurechnen, und zieht dabei eine Argumentationslinie von den
klassisch-romantischen Anfängen bis in die funktional differenzierte
Moderne.
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