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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis/Table
of Contents
I.
Schwerpunkt: W.G. Sebald
-
Doren Wohlleben: Maske—Gesicht—Antlitz: Porträts bei W. G. Sebald in Bild und Text (abstract)
-
Claudia
Öhlschläger: Medialität
und Poetik des trompe-l'oeil: W. G.
Sebald und Jan-Peter Tripp (abstract)
-
Richard
Langston: Affective Affinities:
Sebald and Kluge on Feeling History (abstract)
-
Ben Hutchinson: “Der Erzähler als Schutzengel”: W.G.
Sebald’s Reading of Giorgio Bassani (abstract)
-
Elena Agazzi:
Spuren von Johann Peter Hebel und Ernst
Bloch: W. G. Sebalds Logis in einem Landhaus
(abstract)
-
James
P. Martin: Melancholic Wanderings:
W.G.
Sebald’s Die Ringe des Saturn
(abstract)
- Karen Remmler: The
Shape of Remembering:
W.G.
Sebald’s Die Ringe des Saturn and Austerlitz
(abstract)
-
Yahya Elsaghe: Das Kreuzworträtsel der Penelope: Zu W. G. Sebalds Austerlitz
(abstract)
-
Peter
O. Arnds:
Dans la Salle des Pas
Perdus:
Wandering,
Dwelling, and Myth in W. G. Sebald’s Austerlitz
(abstract)
II.
Einzelinterpretationen
Book Reviews
-
Albrecht, Monika; Göttsche, Dirk, eds. Bachmann Handbuch: Leben-Werk-Wirkung. (Fatima Naqvi)
-
Albrecht, Monika; Göttsche, Dirk, eds. „Über die
Zeit schreiben“ 3: Literatur- und kulturwissenschaftliche Essays zum Werk
Ingeborg Bachmanns.
(Heidi Schlipphacke)
-
Müller, Alexander:Das Gedicht als Engramm. Memoria und Imaginatio in der Poetik Durs Grünbeins. (Michael Braun)
-
Arnold, Heinz Ludwig, ed. Nicolas Born.(Arnd Bohm)
-
Calzoni, Raul.
Walter Kempowski, W. G. Sebald e i tabù della memoria collettiva tedesca.(Simone Costagli)
-
Eigler, Friederike. Gedächtnis und Geschichte in Generationenromanen seit der Wende. (Stephan
Schindler)
-
Kölbel, Martin
hg. Ein Buch, ein Bekenntnis. Günter Grass’ Beim Häuten der Zwiebel. (Michael
Braun)
-
Niehaus, Michael; Öhlschläger, Claudia, eds.
W. G. Sebald. Politische Archäologie und melancholische Bastelei.
(Heike Polster)
Editorische Notiz/Editorial Note
Doren Wohlleben:
Maske—Gesicht—Antlitz: Porträts bei W. G. Sebald in Bild und Text
W.
G. Sebalds Erzählungen und Essays, die mit fotografierten, gemalten,
beschriebenen und im Schreibakt ausgelöschten Gesichtern durchsetzt sind, lassen sich als
"Porträtstudien" lesen, als der Versuch, dem Nicht-Darstellbaren ein
Gesicht, eine literarische Maske zu verleihen. Sebalds Gesichtsbeschreibungen,
ein "pathographisches Unternehmen", das Leiden nachzeichnet,
korrelieren mit Geschichtsschreibungen, und der Akt des Porträtierens mit dem
des Erinnerns und Erzählens. Diese Poetik des Porträts knüpft einerseits an
den physiognomischen Diskurs an, subvertiert diesen aber andererseits und
verweist
auf die prinzipielle Unlesbarkeit von Gesichtern. Das Gesicht nimmt bald in
postmodernem Gestus Züge eines dekonstruktivistischen Maskenspiels an, bald Züge
eines nur im Kontext jüdischer Hermeneutik deutbaren Antlitzes. Stets sind
Gesichter Orte, an denen sich Probleme der Erinnerung, Darstellung und
Deutung kristallisieren.
Claudia
Öhlschläger: Medialität
und Poetik des trompe-l'oeil:W. G.
Sebald und Jan-Peter Tripp
W.G. Sebalds ästhetische Prinzipien eines ´falschen´
Realismus werden zu Jan Peter Tripps trompe-l´oeil–Malerei
ins Verhältnis gesetzt. Die Frage nach dem Status von Mimesis führt in
beiden Fällen zu dem Befund, dass jeweils eine affektive Wahrnehmung von
Wirklichkeit evoziert wird, mit der sich ethische Implikationen verbinden:
Das beschädigte Leben findet sein Korrelat in einer Ästhetik der Abweichung,
der Aberration. Ausgehend von Ernst Gombrichs These, dass ästhetische Illusion
von der Projektionstätigkeit des Rezipienten abhängt, macht der Beitrag
Victor Šklovskijs Begriff der „Verfremdung“ fruchtbar. Dieser Begriff
dient der Beschreibung eines künstlerischen Verfahrens, das automatisierte
Sichtweisen von Realität irritiert. Die Analyse der intermedialen Inszenierung
von Verfremdung in Die Ringe des Saturn gibt Einblicke in Sebalds
suggestive Öffnung jener „furchterregenden Tiefe“, von der die Dynamik
der Oberfläche historischer Erscheinungen sich bestimmt zeigt.
Richard
Langston: Affective
Affinities:
Sebald
and Kluge on Feeling History
W.G. Sebald’s reverence for Alexander Kluge is
unmistakable in his “Luftkrieg und Literatur” essay (1999). For
Sebald, Kluge is Germany’s “aufgeklärtester aller Schriftsteller.” Kluge, too, has held Sebald in high esteem. Both authors assign a
pivotal role to feeling in their
explorations
of Germany’s past. An ethically responsible and politically salient
relationship
to the past arises only when historical knowledge accommodates feelings of
history as well as the history of feeling. In spite of his admiration for Kluge,
Sebald does not, however, replicate Kluge’s poetics of affect. Through a
close reading of Sebald’s “Dr. Henry Selwyn” in Die Ausgewanderten (1992), this essay demonstrates how Sebald
appropriates Kluge’s mistrust of feelings and generates feelings from the
horror of modernity’s disasters.
Ben Hutchinson: “Der Erzähler als Schutzengel”:
W.G.
Sebald’s Reading of Giorgio Bassani
When asked which writers had most influenced him, Sebald pointedly included the
Italian realist Giorgio Bassani in the list.
Indeed his own private library in the Deutsches
Literaturarchiv in Marbach am Neckar contains six books by Bassani, filled
with Sebald's own annotations and underlinings. This paper proposes to fill a
gap in our understanding of Sebald’s major influences by examining his
sustained reading of Bassani, and considering what inferences can subsequently
be drawn about his own prose style and preoccupations. The pattern of Sebald’s
annotations and underlinings seems to suggest a recurring interest in the
“effect” of Realism, in the narrative tricks with which a sense of realism
can be conveyed through authorial sleight-of-hand, culminating in the enigmatic
phrase ‘Der Erzähler als Schutzengel’, which Sebald wrote in the margin of
one of Bassani's books.
Elena Agazzi:
Spuren von Johann Peter Hebel und Ernst
Bloch: W. G. Sebalds Logis in einem Landhaus
Sebalds Interesse an einer "Naturgeschichte der
Zerstörung" wurde bislang vor allem mit den Überlegungen in Verbindung
gebracht, die er in seinen Zürcher Vorlesungen
Luftkrieg und Literatur angestellt hatte. Dieser Beitrag soll das
Blickfeld erweitern und den Einfluss von Johann Peter Hebels kosmischen Visionen
und Ernst Blochs Theorien über die Dialektik zwischen Entfremdung
und Verfremdung in die Betrachtung einbeziehen. Bei seiner Arbeit über
das Verhältnis zwischen Realismus und Metaphysik hat Sebald in Logis
in einem Landhaus eine Galerie von Schriftstellern der letzten drei
Jahrhunderte geschaffen (Rousseau, Hebel, Keller, Mörike, Robert Walser). Sie
werden als „Hellseher im Kleinen“ eingestuft, weil sie Katastrophen in
ihrem Entstehen wahrnahmen und sich
als Kulturschaffende vom Rande des Geschehens aus dem reaktionären Regime ihrer
Zeit widersetzten.
James
P. Martin:
Melancholic Wanderings:
W.G.
Sebald’s Die Ringe des Saturn
All of Sebald’s literary works are linked by the presence of a semi-autobiographical
narrator, who combines details from the real world of the author and his
subjects with overtly fictional elements. Die
Ringe des Saturn, subtitled Eine
englische Wallfahrt, offers particular insight into the function of this
self-stylized melancholic wanderer, because it is the author’s only work in
which the main focus is the narrator’s journey and not the biographies of
others. By examining the role of the emigrant perspective, memento
mori, and self-reflexive moments in the author’s poetics, this analysis
seeks to elucidate how the Sebaldian narrator presents the reader with a complex
form of identification that offers an ultimately ethical view of walking,
reading and interpreting.
Karen
Remmler:
The
Shape of Remembering:
W.G.
Sebald’s Die Ringe des Saturn and Austerlitz
In
W.G. Sebald’s Die Ringe des Saturn
and Austerlitz, each
narrator recalls a traumatic past, such as the
Holocaust and other atrocities. Often, subjective memories are triggered by
dream-like visions at railway stations (the Liverpool Street Station in
London), or by the confusing contours of landscapes (the Eastern coast of
Great Britain). Although specific places form the foundation for acts of
remembering, the geometric shapes embedded in them serve as
many-layered catalysts for exposing the tension between individual
and monumentalized forms of cultural memory. Thus, the work of memory in Sebald’s
writing is not only based on historical or literary references to specific
locations, but also on the phenomenological underpinnings of spatial experience
and perception.
Yahya Elsaghe:
Das Kreuzworträtsel der Penelope: Zu W. G. Sebalds Austerlitz
In der Mitte von
Austerlitz wird ein Kreuzworträtsel gelöst. Das geschieht an einer für
die erzählte Erinnerungsarbeit entscheidenden Stelle und auf damit analoge
Weise. Dieses Kreuzworträtsel läßt sich als autoreferentielle Metapher für
die Art lesen, wie Austerlitz die
Schwierigkeiten konfrontiert, mit denen die jüdisch-deutsche Geschichte
des 20. Jahrhunderts jede mimetisch-fiktionale Ästhetik überfordert. Das
Kreuzworträtsel leistete in der angelsächsischen Postmoderne als
Theoriemodell Ähnliches wie das Rhizom in der frankophonen: Es war Chiffre für
ein offengehaltenes System. Darüber hinaus exponiert es mit seiner
Schriftgebundenheit die wichtige Rolle, die der Buchstabe und das Alphabet als
Ablageordnung in Austerlitz spielen. Es hilft so zu verstehen, warum hier viele
Orts-und Personennamen dieselbe Initiale aufweisen.
Peter
O. Arnds:
Dans la Salle des Pas
Perdus:
Wandering,
Dwelling, and Myth in W. G. Sebald’s Austerlitz
With a
focus on wandering and dwelling, this article is
a cross-reading of Sebald’s “Austerlitz” (2001) and Heidegger’s 1942/43
“Parmenides” lectures, in conjunction with Deleuze/Guattari, Freud, and
Nietzsche. London’s buried gravesites; the straight lines of buildings
mirroring Germany’s oblivion of the past; a concentration camp camouflaged as a spa town; and a clinic that hints at the secrets of
the Nazi killing apparatus—these are only some of the forms of "lethe"
reflecting Austerlitz’s own loss of memory. In evoking Nietzsche’s
Dionysus, as well as Hölderlin’s Hyperion,
Austerlitz’s wandering ultimately leads him to "aletheia," revealing
a sinister version of Heidegger’s ideals of “dwelling in myth.”
Kristin T. Vander Lugt:
“Necropolitics”: Reading
the Revenant Body in Elfriede Jelinek’s Stecken,
Stab und Stangl and Bambiland
Elfriede
Jelinek’s post-1995 oeuvre is largely underwritten by a programmatic “necropolitics,”
a practice exemplified in two of her plays. Jelinek uses the ambivalent status
of the “undead” body—flesh suspended
in ideological discourse—to counteract the increasing dematerialization of
bodies in the media and in certain strands of postmodernism. At the same time,
she rejects the “politics of life” that have emerged in part as a reaction
to postmodernism. Beyond interpretations that identify Jelinek’s characters
as pure linguistic constructs, with only the
potential for materiality as enacted in the bodies of actors on stage, this
essay considers how materiality functions within the texts themselves and, in
the case of Bambiland, in cyberspace,
where the complex hyperlinking of images embedded in the online text
reestablishes the presence of the dead within a virtual landscape.
Kader
Konuk:
Taking
on German and Turkish History:
Emine
Sevgi Özdamar’s Seltsame Sterne
In
recent years Turkish-Germans have taken on the responsibility of remembering the Holocaust. This shift provokes an important question: What role(s)
do they assume when they “remember”? This essay analyzes how Turkish figures
align themselves with, stand in for, and reenact Jewish figures in Emine Sevgi
Özdamar’s novel, Seltsame Sterne
starren zur Erde. Going beyond an analysis of this novel, the essay suggests
that German forms of Vergangenheitsbewältigung—the
process of coming to terms with the past—enter the narratives of Turkish
diasporic writers such as Zafer Şenocak, Kemal Yalçın, and Doğan
Akhanlı. At this historical juncture, the transnationalization of Holocaust
remembrance increasingly affects the way in which the Armenian genocide is
processed in the Turkish diaspora.
Oliver
Ruf:
Die exotische Schweiz: ‘Fremdheit’
bei Urs Widmer
Es werden unterschiedliche Facetten von
‘Fremdheit’ in Urs Widmers Werken untersucht. Seinen Romanen Im
Kongo, Der Geliebte der Mutter und Das
Buch des Vaters sind Figuren des ‘Fremden’ eingeschrieben. Die
Formierung des ‘Fremden’ wird über die thematische Art und Weise der
Darstellung hinaus mit Blick auf die Konstellation von ‘Eigenem’ und
‘Anderem’ reflektiert. Widmers Werke stellen das phantasierte
‘Fremde’ des eigenen Selbst aus (hier vor allem einer exotischen Schweiz).
Sie erörtern eine Wesensbestimmung des ‘Fremden’ in sich überlagernden
kulturräumlichen Dimensionen und ermöglichen eine literarische Phänomenologie
‘eigener Differenz’. Im Rekurs auf Positionen sowohl postkolonialer
Kulturtheorie (Homi K. Bhabha) wie auch poststrukturalistischer Identitäts-
und Alteritätskonstruktion (Julia Kristeva) zeigt der Beitrag, inwiefern Widmer
solche Theoreme implizit aufgreift, überdenkt und unterläuft.
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