Inhalt:
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Karlheinz Steinmüller: Zeichenprozesse auf dem Weg
in die Zukunft: Ideen zu einer
semiotischen Grundlegung der Zukunftsforschung (summary/Zusammenfassung)
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Rolf Kreibich: Wissenschaftsverständnis
und Methodik der Zukunftsforschung (summary/Zusammenfassung)
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Alexander Schmidt-Gernig: Die Geburt der
Zukunftsforschung aus dem Geist der Kybernetik (summary/Zusammenfassung)
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Stefan Jordan: Die Rede der Historiker von den „Zeichen der Zeit“:
Zur Ableitung von
Aussagen über die Zukunft aus der Geschichte (summary/Zusammenfassung)
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Markus Spiwoks: Universelle stilisierte
Fakten in Finanzmarkt-Prognosen (summary/Zusammenfassung) Einlagen
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Franz Liebl: Trends, Trends, Trends … Orientierung im
Zukunftsdiskurs (summary/Zusammenfassung)
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Manfred Behr: Präkognition oder Prävention: Überlegungen zu
einem Dilemma am Beispiel von Stephen Spielbergs Science-Fiction-Film
Minority Report (USA 2002) (summary/Zusammenfassung)
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Johannes Fehr: Kommunikation mit der
Zukunft – eine Nachsendung (summary/Zusammenfassung) Nachruf
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Dagmar Schmauks: In memoriam Stanislaw Lem
(1921–2006)
Zeichenprozesse auf
dem Weg in die Zukunft: Ideen zu einer semiotischen Grundlegung der
Zukunftsforschung Karlheinz Steinmüller, Z_punkt GmbH
Summary. This introductory paper discusses the various kinds of signs which are
used in the exploration of the future, in the construction of images of the
future, and in communication about the future.
Taking into account that “the future” is not given as an empirical
object, the author argues that exploring the future means re-interpreting
symptoms (which indicate present realities; “Anzeichen”) into portents (which
indicate potentialities; “Vorzeichen”). The identification of relevant portents within a multitude of symptoms is
achieved by means of abduction. Culture-specific
conventions valid for signs and their uses play a crucial role in the
construction of images of the future; this is analyzed by means of scenario
processes.
Communicating such
images through the media usually implies a de- and re-contextualization
according to aesthetic codes. With
respect to self-refuting forecasts, the truth-problem for predictions is
discussed. It is shown that
the so-called “paradoxes of intervention” can be dissolved
semiotically.
Zusammenfassung. Der Beitrag befasst
sich mit den unterschiedlichen Zeichensorten, die bei der Erkundung der Zukunft,
der Konstruktion von Zukunftsbildern und der Kommunikation über die Zukunft
Verwendung finden. Vor dem Hintergrund dessen, dass „die Zukunft“ nicht als
empirisches Objekt zugänglich ist, wird argumentiert, dass bei der Erkundung der
Zukunft Anzeichen (Indikatoren für gegenwärtige Realitäten) in Vorzeichen
(Hinweise auf Potentialitäten) uminterpretiert werden. Voraussetzung dafür ist
die Identifikation von portents (Fakten, die die Zukunft in sich tragen), die
nach dem Prinzip der Abduktion geschieht. Am Beispiel von Szenarioprozessen wird
analysiert, welche Rolle insbesondere kulturelle Übereinkünfte bei der
Konstruktion von Zukunftsbildern spielen. In der medialen Kommunikation werden
diese Zukunftsbilder ästhetisiert, d. h. dekontextualisiert und unter Beachtung
ästhetischer Codes rekontextualisiert. Anhand sich selbst zerstörender Prognosen
wird das Wahrheitsproblem für Vorhersagen diskutiert. Damit zusammenhängende
Interventionsparadoxien können semiotisch aufgelöst werden.
Wissenschaftsverständnis und Methodik der Zukunftsforschung Rolf Kreibich, Institut für Zukunftsstudien und
Technologiebewertung GmbH Berlin
Summary. The present contribution distinguishes several stages in the historical
attempts of humans to predict their future. Speculative production of images of the future by astrologists and
manticists, who strove to underpin singular decisions in the everyday life of
their clients, began in the mid-20th century to be partly replaced by a
scientific futurology, which presupposed a linear general development of
humanity and tried to predict it as a whole. In the last three decades, however, reference to “the future” (in the
singular) was gradually given up in favor of reference to the various possible
“futures” (in the plural). These
are conceived as parallel developmental options possibly differing widely in
their parameters, out of which human societies select through their behavior in
the present, whether or not they are aware of it. The transition from a science studying the future to a science designing
several futures was accompanied by an extension of the spectrum of methods used. Their goal tended no longer to be restricted to “predicting”, but
increasingly included “pre-acting” based on participation of the people
involved by means of scenario techniques and other simulation procedures,
“future shops” and “perspective workshops”. This holistic practice requires an application of the
“Uncertainty-Certainty Principle”, which promises to achieve precision in
the design and control of the general system by admitting imprecise treatment of
details. “Futures Studies”,
understood in this way, must rely on knowledge from all scientific disciplines
and take into account all moral orientations, which forces them to adopt an
inter- and transdisciplinary approach. Zusammenfassung. Der vorliegende Beitrag unterscheidet in den Bemühungen des Menschen um
die Vorhersage seiner Zukunft mehrere Stadien: Auf die spekulative Produktion
von Zukunftsbildern von Astrologen und Mantikern, die als Unterstützung für
punktuelle Entscheidungen im Alltagsleben ihrer Kunden gedacht war, folgte seit
der Mitte des 20. Jahrhunderts eine mit wissenschaftlichen Methoden arbeitende
Futurologie, die eine lineare Gesamtentwicklung der Menschheit voraussetzte und
deren Verlauf umfassend vorherzusagen versuchte. Die Rede von „der Zukunft“
im Singular wurde in den letzten drei Jahrzehnten jedoch zunehmend durch die
Rede von „den Zukünften“ ersetzt – parallel möglichen
Entwicklungsoptionen von beträchtlicher Bandbreite, aus denen die menschlichen
Gesellschaften durch ihr gegenwärtiges Verhalten nolens volens eine auswählen.
Der Übergang von der Wissenschaft von der Zukunft zur Wissenschaft von den Zukünften
war verbunden mit einer Erweiterung des Methodenspektrums, mit dem nun nicht
mehr nur „Voraussagen“ sondern auch „Voraushandeln“ unter Beteiligung
der Betroffenen mit Hilfe von Szenario-Techniken und anderen
Simulationsverfahren, „Zukunftswerkstätten“ und „Perspektiv-Workshops“
angestrebt wurde. Dieses nicht prädiktive, sondern präaktive holistische
Vorgehen erfordert ein Handeln gemäß dem „Unschärfe-Schärfe-Prinzip“,
das durch unscharfe Betrachtung von Details Schärfe in das Verstehen und die
Steuerung des Gesamtsystems zu bringen verspricht. Dabei ist prinzipiell Wissen
aus allen Disziplinen und jede mögliche moralische Orientierung einzubeziehen,
was die Zukunftsforschung zu einem inter- und transdisziplinären Ansatz zwingt.
Die Geburt der
Zukunftsforschung aus dem Geist der Kybernetik Alexander
Schmidt-Gernig, Landtag Nordrhein-Westfalen
Summary. The 60s and 70s of the 20th century were characterized by a new concern
about the future, which was a consequence of unprecedented techno-scientific
innovation and its socio-economic effects. This concern manifested itself in the institutionalization of a
scientific enterprise called “Future Research”, “Futurology”, or
“Future Studies”, which promised to compensate the overspecialization of the
various subsystems of human societies by achieving a synthesis of their
knowledge and applying it in the prediction and control of future events,
especially by means of political counseling. The leading theoretical paradigm used in this enterprise was that of
cybernetics, which had already proven its indispensability in the control of
complex technical systems. It
fascinated both politicians and scientists by combining the role of a
meta-science with direct applicability.
Zusammenfassung. Die 60er und 70er Jahre waren in ganz besonderer Weise durch eine
Zukunftsorientierung geprägt, die sich der Wirkung tiefgreifender
wissenschaftlicher und technologischer Innovationen, aber auch neuer umfassender
Risiken verdankte. Diese Zukunftsorientierung manifestierte sich insbesondere in
einer erstmals wissenschaftlich intendierten „Zukunftsforschung“. Ziel
dieser futurologisch orientierten Politikberatung war es, im Gegenzug zur immer
stärkeren (und als immer risikoreicher empfundenen) Spezialisierung der
Wissenssysteme eine Art „Wissenssynthese“ zur besseren Prognosefähigkeit
und damit (auch) Risikoprävention zu entwickeln und für die konkrete
politische Praxis zur Verfügung zu stellen. Das zentrale Paradigma hinter
diesem Ansatz bestand in der neuen Leitwissenschaft der Kybernetik. Die
Faszination dieses Denkmodells rührte daher, dass mit seiner Hilfe die
Steuerung hochkomplexer bzw. immer komplexerer Systeme möglich erschien und in
technischen Anwendungsverfahren bereits erfolgreich umgesetzt worden war.
Faszinierend erschien die Kybernetik daher vor allem in interdisziplinärer
Hinsicht, da sie einerseits als eine „Metawissenschaft“ und zugleich als ein
hochgradig anwendungsorientiertes Denkmodell dienen konnte.
Die Rede
von den „Zeichen der Zeit“: Zur Ableitung von Aussagen über die Zukunft aus der
Geschichte Stefan Jordan, Historische Kommission bei der Bayerischen
Akademie der Wissenschaften, München
Summary. When one conceives of historical events as “signs of the times”, one
connects the focus on the past with the focus on the future. This can be achieved in several ways. From the view-point of Christianity, Idealist philosophy, and Marxist
ideology, the “signs of the times” presage a state of humanity that is
anticipated to be the final one; positivistic approaches to history, on the
other hand, follow the example of the natural sciences in proceeding from
antecedent conditions and using laws of nature to derive predictions about the
future course of things, while the Enlightenment approach to history subjects
historical prognosis to moral maxims which are treated as valid a priori. In all these cases, taking given events as
“signs of the times” amounts to integrating them into a well/established
knowledge system which serves to define pre-conceived human conditions for the
coming stages of human history.
Zusammenfassung. Die
Rede von den „Zeichen der Zeit“ kann den Blick auf die Geschichte und auf
die Zukunft in unterschiedlicher Weise verbinden. Für die christliche Religion,
die idealistische Philosophie und die Ideologie des Marxismus deuten die Zeichen
der Zeit auf einen endzeitlichen Zustand hin; positivistische
Geschichtsdeutungen versuchen in Analogie zu den Naturwissenschaften, die
Deutung der Zukunft aus gesetzmäßigen Notwendigkeiten herzuleiten; die
„Aufklärungshistorie“ ordnet die historische Prognostik apriorischen
moralischen Maximen unter. Die „Zeichen der Zeit“ sind in allen Fällen ein
Beweissystem für vorab definierte Zustände in Endzeit oder Zukunft.
Universelle
stilisierte Fakten bei Finanzmarkt-Prognosen Markus
Spiwoks, Fachhochschule Wolfsburg
Summary. Forecasts for the financial market are characterized by three features: The forecast describes the present rather than the future, it keeps
within the confines of mainstream opinion, and it is completely unreliable. A look into the
future of financial markets is evidently not possible by means of the forecast
instruments developed so far.
Zusammenfassung. Reale Finanzmarkt-Prognosen werden durch drei Charakteristika
gekennzeichnet: Sie beschreiben eher die Gegenwart als die Zukunft, sie bewegen
sich im schützenden Umfeld der Mehrheitsmeinung, und sie sind vollkommen
unzuverlässig. Der Blick in die Börsenzukunft ist mit den bisher entwickelten
Prognoseinstrumenten also offenbar nicht möglich.
Trends, Trends, Trends … Der Zukunftsdiskurs
im Wirtschaftsalltag Franz Liebl, Universität Witten/Herdecke
Summary. So-called “trends” are conceptualizations prone to misunderstanding. If they are to become useful in designing marketing strategies, they must
be described in a relatively differentiated manner. Trends are most appropriately regarded as innovations in consumers’ behavior. The two major dimensions of any innovation are its degree of novelty and
its potential for diffusion. Describing
a trend’s degree of novelty requires an explanation of the contexts in
which it occurs. Describing a trend’s diffusion potential requires an
assessment of the relationship it has with its countertrends. Predictions about
the results to be expected from a diffusion process can be derived on the basis
of an extended lifecycle analysis for the trend which covers both the stages of
its emergence and of its decline.
Zusammenfassung. „Trends“ müssen als hochgradig missverständliches Konzept angesehen
werden und bedürfen einer differenzierten Beschreibung, wenn sie strategisch
fruchtbar gemacht werden sollen. Hierfür ist es zielführend, Trends als
Innovationen zu begreifen. Deren zwei wesentliche Facetten bestehen in
Neuheitsgrad und Verbreitungsträchtigkeit. Um den Neuheitsgrad zu beschreiben,
gilt es, die relevanten Kontexte, die in einem Trend zum Tragen kommen, zu
erheben. Indizien für die Verbreitungsträchtigkeit ergeben sich aus der
paradoxen Struktur eines Trends, in der sich Trend und Gegentrend miteinander
verbinden. Aussagen über das Ergebnis der Verbreitung lassen sich aus einer
erweiterten Lebenszyklus-Betrachtung ableiten, die nicht nur die Phasen des
Ermergierens berücksichtigt, sondern die strategisch ebenso relevanten
Abschwungphasen.
Präkognition oder Prävention:
Überlegungen zu einem Dilemma am Beispiel von Stephen Spielbergs
Science-Fiction-Film Minority Report (USA 2002) Manfred Behr, Technische
Universität Berlin Summary. This contribution
problematizes the usefulness of precognition in the context of police action.
With reference to Stephen Spielberg’s science-fiction film Minority Report, a
fictional program of the Washington police department is analyzed which tries to
resolve cases of murder before they are committed. The results of this program
are to be used to prevent predelinquents from carrying out the predicted
murders. The police officers working in this program are shown to confront a
dilemma exemplified by Chief Anderton: If he kills a predelinquent before the
crime is committed, he thereby destroys the possibility of examining whether the
prediction was valid. If he does not kill him, he jeopardizes the prevention.
These considerations are shown to be relevant in contemporary discussions about
the structure of a surveillance state. Zusammenfassung. Der
Beitrag stellt die Frage nach der Verwendbarkeit von Aussagen über die Zukunft
(Präkognition) im Polizeieinsatz. Im Anschluss an Stephen Spielbergs
Science-Fiction-Film Minority Report wird die Funktionsweise einer fiktiven
Einrichtung der Washingtoner Polizei analysiert, die versucht, Morde
aufzuklären, bevor sie begangen werden. Die Aufklärungsresultate sollen dazu
benutzt werden, den mutmaßlichen Täter jeweils an der Ausführung des
vorhergesagten Mordes zu hindern (Prävention). Am Beispiel von Chief Anderton
wird das damit verbundene Dilemma herausgearbeitet: Tötet er einen möglichen
Mörder vor dem vorhergesagten Mord, so beseitigt er damit auch die Möglichkeit
zu prüfen, ob dieser den Mord tatsächlich vollzogen hätte. Tötet er ihn nicht,
so gefährdet er die Prävention. Diese Überlegungen erweisen sich als relevant
für die gegenwärtigen Diskussionen über die Struktur des
Überwachungsstaats.
Kommunikation mit der Zukunft — eine Nachsendung
Johannes
Fehr, Collegium
Helveticum, Universität und ETH Zürich
Summary. In the seventies several messages of greeting were sent to the
interstellar space in the course of the NASA space flight program. The declared purpose of these messages was to represent
mankind to unknown extraterrestrial civilizations. At the same time the messages were understood as communication with the
future. The astrophysicist Carl
Sagan, one of the main initiators of these messages, has described them on
several occasions and from different perspectives in relation with the so called
SETI-project, last but not least in his science-fiction novel Contact,
published in 1985.
Comparing Sagan’s various formulations, the article examines the concepts
of future underlying the communication attempts described.
Zusammenfassung. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden im Rahmen des
Raumfahrtprogramms der NASA mehrere Grußbotschaften in Richtung interstellarer
Raum versandt. Deren erklärtes Ziel war es, die Menschheit gegenüber
unbekannten extraterrestrischen Zivilisationen zu repräsentieren. Von ihren
Initianten wurden diese Grußbotschaften zugleich als Kommunikation mit der
Zukunft verstanden. Der Astrophysiker Carl Sagan, welcher am Zustandekommen
dieser Grußbotschaften maßgeblich beteiligt war, ist im Zusammenhang mit dem
so genannten SETI-Projekt wiederholt und aus verschiedenen Perspektiven darauf
eingegangen, nicht zuletzt in seinem 1985 erschienenen Science-Fiction-Roman Contact. Im Vergleich dieser verschiedenen Texte wird
hier der Frage nachgegangen, welche Zukunftskonzepte den von Sagan beschriebenen
Kommunikations-Versuchen zugrunde lagen.
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