ANGST erweist sich in der Forschung als ein vielfach vernetzter und ambivalenter Komplex von Symptomen, der unsere Persönlichkeit von Kindheit an prägt. Etwa ein Viertel der Bevölkerung in Industrieländern leidet unter allgemeinen und spezifischen Ängsten: vor Natur-, Umwelt- und Klimakatastrophen, vor technologischen und kosmischen Bedrohungen, der Angst vor Krieg, Terroranschlägen und Epidemien bekannter oder unbekannter Ursache, vor dem Fremden, dem anderen Geschlecht, sogar vor sich selbst und nicht zuletzt der paradox anmutenden Erwartungsangst, wie sie etwa Erich Fried in einem seiner Warngedichte thematisierte: der Angst vor der Angst.
ANGST kann jedoch nicht nur „lähmenden Stillstand“ zur Folge haben, sondern auch als Leitmotiv einer konstruktiv-kritischen, selbstbewussten Auseinandersetzung mit dieser elementaren Grunderfahrung, ja Grundbedingung menschlicher Existenz dienen, kann also eine dynamische Kraft entfalten und gleichsam als „Motor des Fortschritts“ fungieren, wie es schon Søren Kierkegaard erkannte: „Die Angst lähmt nicht nur, sondern enthält die unendliche Möglichkeit des Könnens, die den Motor menschlicher Entwicklung bildet.“
Die Ergebnisse der bisherigen Angstforschungen sind nur selten einem interdisziplinären Diskurs zugeführt worden. Interdisziplinarität ist daher die ambitionierte Zielsetzung dieses Bandes. In 55 Beiträgen werden Grundformen und Variablen der Angst aus geistes- und naturwissenschaftlichen, medizinischen, juristischen und theologischen, sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fachdisziplinen behandelt und diskutiert. Es geht um die Erforschung von Ursachen, Folgen und therapeutischen Bewältigungsstrategien von Ängsten sowie um deren Thematisierung und ästhetische Darstellung in den bildenden Künsten, der Musik und der Literatur.
DIETMAR GOLTSCHNIGG ist Professor für Neuere deutsche Sprache und Literatur an der Karl-Franzens-Universität Graz. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die deutschsprachige Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts (vor allem die Wirkungsgeschichte Georg Büchners und Heinrich Heines), die Klassische Moderne Österreichs und der interdisziplinäre Dialog über gesellschaftspolitische Themen.
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