Herausgegeben von Holger Schulze Situation und Klang ZS, Band 34, Heft 1-2/2012 |
EUR 50,00 ISBN 978-3-86057-918-3 |
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Aus dem Inhalt I. Was ist Klang Christa Brüstle: Die Bedeutungen eines Geräuschs. Zur Semiotik der (außer)musikalischen Klangwahrnehmung Summary. The author explores diverse research fields, historical eras and aesthetical aspects that involve the signifying character of everyday sounds and their perception. Historically everyday sounds have been interpreted as in opposition to musical sounds: they were heard as dissonances and unwanted disturbances. Specific aesthetical goals later in history inspired the integration of such sounds into a compositional artefact. In everyday life it is fundamental to understand those sounds as they refer (due to their indexicality) to processes that become audible – or are being made audible. They help us in orienting ourselves in an environment and in individual perceptions of transformation, of movement, or of atmospheres in a specific situation. Zusammenfassung. Die Autorin erkundet verschiedene Forschungsfelder, historische Perioden und ästhetische Aspekte, die sich auf die zeichenhafte Bestimmung und Wahrnehmung von Geräuschen beziehen. Geräusche wurden in der Regel als Gegenpole zu musikalischen Klängen betrachtet: sie galten als Missklänge und unerwünschte Störfaktoren. Die kompositorische Integration von Geräuschen beruht daher auf bestimmten ästhetischen Zielsetzungen. Im Alltag sind Geräusche allerdings unabdingbar, denn auf Grund ihrer Indexikalität verweisen sie auf Vorgänge, die hörbar werden – oder hörbar gemacht werden können. Sie dienen daher zur Orientierung in der Umwelt und zur individuellen Wahrnehmung u.a. von Veränderung, Bewegung oder Atmosphären in einer bestimmten Situation. Susanne Binas-Preisendörfer: Populäre Sounds und Transkulturalität. Vom kulturellen Text zur kulturellen Praxis Summary. The author explores the function and the meaning of the aesthetic sound matter in popular culture and their appropriation in specific social and cultural contexts. Starting with personal observations, evaluations, and decidedly subjective interpretations of current productions in the field of popular music, especially Hip Hop, she presents relevant research traditions for these questions (Clarke, Hebdige, Laing, Wicke, Shepherd, Krämer) and argues for a polydimensional and interwoven concept of cultural interplay (Welsch: transculturality). Zusammenfassung. Ausgehend von einigen Beobachtungen, Bewertungen und (subjektiven) Deutungen aktueller Popmusikproduktionen geht die Autorin der Funktion und Bedeutung klanglich-ästhetischer Materialität von populären Sounds und deren Aneignung in konkreten Vergemeinschaftungsformen wie auch vor dem Hintergrund bestimmter kultureller Erfahrungen nach. Dabei stellt sie einige für diesen Zusammenhang maßgebliche Forschungstraditionen (Clarke, Hebdige, Laing, Wicke, Shepherd, Krämer) vor und plädiert angesichts der Vieldimensionalität und der Verflechtungen gegenwärtiger Kulturen (Welsch: Transkulturalität) für ein an den kulturellen Praktiken orientiertes theoretisches Modell der Analyse populärer Sounds. II. Klänge in der Alltagskultur Summary. The author provides a critical review of Umberto Eco’s thoughts on the semiotics of music, especially popular music, in the 1960s and 1970s. He refers to the differing outline of a semiotics of music by Gino Stefani as well as to Philipp Tagg’s semiotic theory of musical communication and he proposes that music as sound and its semiotic quality provides a far more adequate and larger category for semiotic analysis – covering the vast majority of all contemporary and recent musical productions – than conventional musicology’s category of music as notated work, and related methods of score analysis, which are relevant only for a rather minor quantity of all music produced these days. Zusammenfassung. Der Autor wirft einen kritischen Blick zurück auf die musiksemiotischen Überlegungen im Werk Umberto Ecos zur populären Musik aus den 1960er und 1970er Jahren; im Verweis auf die Musiksemiotik von Gino Stefani und Philipp Taggs semiotische Theorie musikalischer Kommunikation arbeitet er heraus, dass der Klang und seine Zeichenhaftigkeit eine angemessenere und umfassendere semiotische Analysekategorie für die überwältigende Mehrzahl aller gegenwärtigen und jüngeren Musikproduktionen auf Tonträgern ist, als der in der konventionellen Musikwissenschaft verwendete Begriff der Musik sowie die damit einhergehende Partituranalyse, die nur eine verschwindende Menge aller produzierten Musik noch betrifft. Ulrike Sowodniok: Stimmklang und Bedeutung. Fünf Perspektiven auf den resonierenden Körper – oder: Wer singt mir, die ich höre in meinem Körper das Lied? Summary. Roland Barthes’ expression „the grain of the voice" has become impossible to ignore in the scientific discourse since 40 years now. It meanders as a familiar quotation through numerous fields like semiotics, linguistics, theater studies, philosophy, etc. With the term „le grain de la voix" Barthes found a formulation for „Stimmklang" (‘the sound of the voice’), which as a scientific term is right now on its way to become established. The sound of the voice is not the same as timbre, for it builds the perceivable texture of the resonant body within the sound. I.e., the sound of the voice itself carries all possible layers of meaning which can be transmitted through the voice. The sound of the voice probably is the most complex carrier of signification we are endowed with as human beings. Beyond the vast and complex semantic ranges of language and music, the resonant body provides a semantic space, which is summarized by the author in five different perspectives on the body at the end of this article. The astonishment through the sound of the voice can barely be described more consequently than in the title of the volume of the Merve series, in which „The grain of the voice" was published in German for the first time in 1979: „What is it that sings to me listening to the song in my body?" (Barthes 1979: 11). Zusammenfassung. Die Formulierung „die Körnung der Stimme" von Roland Barthes ist seit 40 Jahren nicht mehr wegzudenken aus dem wissenschaftlichen Diskurs. Sie mäandert als geflügeltes Wort durch zahlreiche Wissenschaften wie Semiotik, Linguistik, Theaterwissenschaften, Philosophie usw. Mit dem Begriff „Le grain de la voix" prägte Barthes 1972 einen Ausdruck für „Stimmklang", einen Begriff, der heute erst dabei ist, sich wissenschaftlich zu etablieren. Stimmklang ist nicht dasselbe wie Timbre, sondern bildet die wahrnehmbare Textur des resonierenden Körpers im Klang. Damit zeigt sich der Stimmklang als Bedeutungsträger für alle Ebenen von Bedeutung, die über die Stimme mitgeteilt werden können. Stimmklang ist wahrscheinlich der komplexeste Bedeutungsträger, über den wir als Menschen verfügen. Jenseits der großen und vielschichtigen Bedeutungsfelder von Sprache und Musik erschließt sich der Bedeutungsraum des resonierenden Körpers im Stimmklang, den die Autorin in fünf verschiedenen Körperperspektiven am Ende dieses Artikels zusammenfasst. Man kann die Verwunderung durch den Stimmklang kaum konsequenter ausdrücken als im Titel des Merve-Bändchens, in dem 1979 die „Körnung der Stimme" zum ersten Mal in deutschen Übersetzung erschien: „Was singt mir, der ich höre in meinem Körper das Lied?" (Barthes 1979: 11). Holger Schulze: Situationsänderung durch Klang. Eine klanganthropologische Analyse Summary. How is it that sounds can change the character of a situation radically? In order to answer this question, the author discusses recent theories on experiencing a situation, on concepts of the senses, on body conceptions, and on the generativity of language (Gendlin, Hogrebe, Serres, Theweleit) as well as approaches to the field of sound studies (Altman, Blesser and Salter, Goodman, Großmann, Müller-Schulzke). As a result, the author formulates assumptions about semiogenesis in situations of extensive sensory experience with special emphasis on felt sense (Gendlin) and the emergence of sign-based meaning. Zusammenfassung. Wie geschieht es, dass allein durch Klänge sich eine Situation radikal wandeln kann? Der Autor untersucht diese Frage vor dem Hintergrund einerseits einer Reflexion auf jüngere Theorien zu Situationserleben, Sinneskonzepten, Körperlichkeit und Generativität der Sprache (Gendlin, Hogrebe, Serres, Theweleit) und andererseits in Bezug zu Theorieansätzen für die Sound Studies (Altman, Blesser und Salter, Goodman, Großmann, Müller-Schulzke). Dies verdeutlicht, wie zeichenhafte Bedeutung erst in spezifischen Situationen jeweils erzeugt wird und wie sie auf intensives, körperliches Erleben mit Gespür oder felt sense (Gendlin) aufbaut. III. Drei Theorieansätze Carla Müller-Schulzke: Driftende Klangzeichen. Zur semiotischen Klanganalyse in den Sound Studies Summary. How can a sonic situation be analyzed from a semiotic perspective? Focusing on the mobile ring tone, the author investigates how this sound generates a complex sonic situation in which social, communicative, and cultural aspects interact. In how far do sounds possess a drifting and arbitrary quality? Referring to Posner’s thoughts on cultural semiotics, the concept of the semiotic process is extended and explored as part of complex cultural sound practices. Zusammenfassung. Wie kann eine Klangsituation, aus semiotischer Sicht, als Zeichenprozess analysiert werden? Die Autorin untersucht am Beispiel des Handy-Klingeltons, wie sich um dieses Geräusch eine komplexe Klangsituation aufspannt, in der soziale, kommunikative und kulturelle Aspekte zusammenwirken. Inwiefern haben Klänge eine driftende und arbiträre Qualität? Ausgehend von Posners Überlegungen zur Kultursemiotik wird das Konzept des semiotischen Prozesses erweitert und als Teil komplexer kultureller sound practices untersucht. Annie Goh: Zeichen, Symbol und Symptom. Zur (spekulativen) Semiotik der Klänge bei Vilém Flusser Summary. Research around the work of Vilém Flusser (1920–1991) has been dominated by his image-theory and media studies or communication theories more broadly, with tangible influence in the fields of design and architecture. This article deals with the largely untouched field of Flusser and sound, to which it is proposed that sound played a considerable role in his larger philosophy. Although direct references to sound are few to be found in Flusser’s work, inherent in his language philosophy and within the few writings on music some beginning remarks in this field can begin to be made. This is undertaken by drawing on primary texts by Flusser relating to language, as well as addressing the influence of formal linguistics and semiotics on his thought and writing and analyses based on two published texts in German mentioning music directly „Die Geste des Musikhörens" and „Kammermusik". Zusammenfassung. Die Erforschung des Werkes von Vilém Flusser (1920–1991) konzentrierte sich lange Zeit auf seine Bild-, Medien- und Kommunikationstheorie und hatte spürbaren Einfluss auf Design und Architektur. Dieser Artikel untersucht das vergleichsweise wenig erforschte Feld des Klangs im Werk von Flusser, dem im Folgenden eine bedeutende Rolle innerhalb seiner Philosophie zuerkannt werden soll. Direkte Verweise auf Klang sind zwar selten in Flussers Werk; doch Teile seiner Sprachphilosophie und einige verstreute Texte ermöglichen eine erste Annäherung. In diesem Artikel werden sowohl Texte zur Sprache als auch zur formalen Linguistik und Semiotik von Flusser untersucht sowie zwei von Flusser zu Lebzeiten veröffentlichte Texte, die direkt über Musik sprechen: „Die Geste des Musikhörens" und „Kammermusik". Veit Erlmann: Klang, Raum und Umwelt. Jakob von Uexkülls Musiktheorie des Lebens Summary. The eminent biologist Jakob von Uexküll is best known for having coined the term Umwelt. But Uexküll also couched his theory of life in a rich metaphorology of sound and music. The paper revisits Uexküll’s biocentric theories of nature and sound and explores their significance for the relationship of sound and architecture. Zusammenfassung. Jakob von Uexküll gilt nicht nur als einer der Pioniere der neuren Biologie und Biosemiotik, seine Umwelttheorie beeinflusste auch die Architektur der Moderne der 1920er Jahre. Weitgehend unbekannt ist indes ein umfangreiches Repertoire von musikalischen Metaphern, das sein gesamtes Werk durchzieht. Eine Neubewertung dieser klanglichen Dimension eröffnet neue Perspektiven für die Untersuchung des Verhältnisses von Klang, Raum und Umwelt. IV. Erforschung der Klangumwelt Jochen Bonz: Vom Verlust der Natur zur Umwandlung des Selbst. Soundscape-Forschung im und nach dem Paradigma der Akustischen Ökologie Summary. Early soundscape studies were motivated as well as determined by the paradigm of Acoustic Ecology. The determinations led to an understanding of cultural history as in decline: discrete sounds being replaced by noise. At the same time pop music celebrated noisy aspects of sound. Recent soundscape studies still are concerned with noisy aspects of sound environments, focusing especially on their effects in the listening subject which are understood as immersive and transductive. The article describes this shift in soundscape studies and tries to explain why it occurred. It seems to be a result of more general shifts in late modern western culture, leading from cultures which articulate world and self by means of symbolic orders to much more fragmented and fragile cultural configurations in which sounds primarily function as a means of repeated processes of subjectivation and not as sonic representations of conventional socio-cultural meanings. Zusammenfassung. Die Erkenntnisse der Soundscape-Forschung der 70er Jahre wurden von dem ihnen zugrunde liegenden Paradigma der Akustischen Ökologie sowohl erst ermöglicht als auch beschränkt. Sie mündeten in einer Auffassung von der Kulturgeschichte des Klangs als Niedergang von ausdifferenzierter zu lärmender Klangräumlichkeit. Zeitgleich wurde das Lärmende in der Popmusik zelebriert, und der dort mit ihm einhergehende Effekt, das Subjekt des Hörens einzunehmen und es zu verwandeln, ist heute das zentrale Thema jüngerer Soundscape-Studien. Der Artikel beschreibt diesen Wandel der Soundscape-Forschung und macht als dessen Ursache die nachlassende Bindungskraft der kulturellen Medialität vom Typ symbolischer Ordnungen in der spätmodernen Kultur westlicher Gesellschaften aus. Sie hat eine ungleich fragmentiertere und fragilere kulturelle Situation zur Folge, in der den Klängen primär die Funktion zufällt, Hörer wiederholt zu subjektivieren, anstatt in der Dimension des Klangs sozio-kulturelle Konventionen zu repräsentieren. Anke Eckardt: Vertikalität und Macht. Drei Hörstudien: 1945 – 1965 – 2012 Summary. The author undertakes basic research on the relation between the structures of use with regard to vertical space and the means of representation and performativity of power. From the perspective of cultural history and especially of a historical anthropology of sound she concentrates not just on sonic and physical aspects but furthermore on the psychological and political dimensions of listening. For the analysis she applies a set of categories to approach the actual sounds as well as the hearing experience in its physical as well as its semiotic dimension. She analyzes three historical and contemporary case studies as examples for situations of vertical hearing: 1965 when the governments of the GDR and the USSR sent fighter jets over the Berliner Kongresshalle in Western Berlin; 1945 when soviet soldiers performed a triumphant ritual on the roof of the Berlin Reichstag; and 2012 when the Berlin police undertook a helicopter operation over Berlin-Kreuzberg on the first of May. Zusammenfassung. Die Autorin unternimmt eine Grundlagenstudie, um das Spannungsverhältnis zwischen den Nutzungsstrukturen innerhalb des vertikalen Raumes und der Repräsentanz beziehungsweise Inszenierung von Macht zu untersuchen. Kulturgeschichtlich, aus Perspektive einer Historischen Anthropologie des Klanges, richtet sie ihr Augenmerk neben den klanglich-physischen Aspekten vor allem auch auf die psychologische und politische Dimension des Hörens. Zur Analyse wird darum ein Kategoriensystem genutzt, welches sowohl das Erklingende als auch das Gehörte in seiner physischen und seiner semiotischen Dimension erfasst. Beispielhaft für Situationen vertikalen Hörens werden dabei drei historische und aktuelle Fallstudien analysiert: 1965 als die Regierungen der DDR und der Sowjetunion Düsenjets über der Berliner Kongresshalle in Westberlin fliegen ließen; 1945 als sowjetische Soldaten auf dem Dach des Berliner Reichstages ein Siegerritual durchführten; und 2012 als die Berliner Polizei am 1. Mai über Berlin-Kreuzberg einen Hubschraubereinsatz flog. |
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