Herausgegeben von Martin Thiering Die Neo-Whorfian Theorie: Das Wiedererstarken des linguistischen Relativitätsprinzips ZS, Band 35, Heft 1-2/2013 |
EUR 50,00 ISBN 978-3-95809-660-8 |
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Aus dem Inhalt: Einführung Martin Thiering: Die Neo-Whorfian Theorie: Das Wiedererstarken des Linguistischen Relativitätsprinzips Klaus Robering: Von Whorf zu Malotki – Eine Reise durch Hopi-Raum und Hopi-Zeit Summary. The article investigates the views of Whorf on the linguistic representation of space and time and their reception in German linguistics in the 1960s. Its first part summarizes both Whorf’s general conception of the relationship between language and cognition and his semantic analysis of the way how the Hopi language represents temporal and spatial matters. The Hopi conception of space and time (as conceived by Whorf) is contrasted with the views of classical and relativistic physics. The third part is devoted to the reception of Whorf’s views in German linguistics in the 1960s. A brief discussion of classical German philosophy of language (Hamann, Herder, Humboldt) prepares the stage for relating Whorf’s views to those of Leo Weisgerber’s ‘Inhaltbezogene Grammatik’, then the dominant trend in German linguistics. The studies of ‘Hopi space’ and ‘Hopi time’, by Ekkehart Malotki (a disciple of Helmut Gipper, who in turn was a disciple of Weisgerber) are summarized and compared with Whorf’s original views. The article ends with a brief comment upon the treatment of space and time in Neo-Whorfianism. Zusammenfassung. Dieser Beitrag untersucht die Ansichten Whorfs über die sprachliche Darstellung von Raum und Zeit und die Rezeption dieser Ansichten in der deutschen Sprachwissenschaft der 1960er Jahre. Der erste Teil gibt eine kurze Übersicht über Whorfs generelle Ansichten zum Verhältnis von Sprache und Denken sowie über seine semantische Analyse der Raum- und Zeitdarstellung im Hopi. Im zweiten Teil wird die Hopi-Sicht auf Raum und Zeit (so wie Whorf sie versteht) mit den Auffassungen der klassischen und relativistischen Physik verglichen. Der dritte Teil ist der Rezeption der Whorf’schen Thesen in der deutschen Linguistik der 1960er Jahre gewidmet. Eine kurze Diskussion der klassischen deutschen Sprachphilosophie (Hamann, Herder, Humboldt) liefert die Grundlage dafür, Whorfs Ansichten mit denen der Inhaltbezogenen Grammatik Leo Weisgerbers, der damals in Deutschland vorherrschenden Schule der Sprachwissenschaft, in Beziehung zu setzen. Die Untersuchungen Ekkehart Malotkis (eines Schülers von Helmut Gipper und Enkelschülers von Weisgerber) zum ‚Hopi-Raum‘ und zur ‚Hopi-Zeit‘ werden kurz dargestellt und mit Whorfs eigenen Ansichten verglichen. Der Artikel endet mit einem kurzen Ausblick auf die Behandlung von Raum und Zeit im Neo-Whorfianismus. Jordan Zlatev und Johan Blomberg: Die Möglichkeit sprachlichen Einflusses auf das Denken Summary. In this article, we discuss four obstacles that stand in the way for a productive investigation into the kind of influence that language may have on thinking. The first is that it is impossible to distinguish language from thought, so that the question of possible “influence” is mute. The second is that it is impossible to disentangle language from culture in general, and from social interaction in particular, so that it is impossible to attribute any differences in the thought patterns of the members of different cultures to language per se. The third objection argues that language may affect thinking by expressing new information, but that thesis is either trivial or untenable because of methodological and empirical problems. The fourth is the assumption that since language can potentially influence thought from “not at all” to “completely”, the possible forms of verbal influence can be arranged on a cline, and competing theories can be seen as debating their actual position on this cline. We present counter-arguments to all these claims, and show that the first three do not constitute in principle objections against the project of investigating verbal influence on thought, and the last one is not the best way to frame the empirical challenge at hand. Thus, while we do not argue for any specific type of verbal influence on thought, we claim that it is possible, and thereby intend to clear the way for further investigations into the topic. Zusammenfassung. In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit vier Hindernissen, die einer produktiven Forschung über einen möglichen Einfluss der Sprache auf das Denken im Weg stehen. Zunächst ist da die Behauptung, es sei unmöglich, Sprache vom Denken zu trennen, die Frage des „Einflusses“ sei also nichtig. Als zweites gibt es das Argument, es sei unmöglich, Sprache von Kultur allgemein, insbesondere von sozialer Interaktion zu trennen, und daher sei es unmöglich, Unterschiede in den Denkmustern der Mitglieder unterschiedlicher Kulturen per se der Sprache zuzuschreiben. Der dritte Einwand besagt, dass methodische und empirische Probleme jede außer der trivialsten Version dieser These widerlegten, nämlich dass Sprache Denken dadurch beeinflusse, dass sie neue Informationen liefere. Der vierte ist die Annahme, dass, da Sprache das Denken potenziell zwischen „überhaupt nicht“ und „vollständig“ beeinflussen kann, die möglichen Formen sprachlicher Einflussnahme auf einer ansteigenden Skala angeordnet werden können und konkurrierende Theorien als um ihre aktuelle Position streitend verstanden werden können. Wir legen Gegenargumente zu diesen Behauptungen dar und zeigen damit, dass die ersten drei grundsätzlich keine Einwände gegen die Aussagekraft einer Untersuchung des sprachlichen Einflusses auf das Denken darstellen und die letzte nicht der beste Weg ist, die vorliegende empirische Herausforderung zu bewältigen. Folglich behaupten wir, dass sprachlicher Einfluss möglich ist, ohne uns für einen spezifischen Typ auszusprechen, und möchten damit den Weg für weitere Untersuchungen auf diesem Gebiet freimachen. Raphael Berthele: Biestmilch, Schafspferche und Schamanen: Überlegungen zur Verwendung whorfoiden Gedankenguts im Diskurs über sprachliche Diversität Summary. The article discusses the discursive use of ideas related to language and thought in the context of texts advocating linguistic diversity. Drawing on examples from a variety of texts on the matter, it shows how arguments that can be associated with Whorfian ideas in the broadest sense of the term are used to complement an identity-oriented, romantic construal of small or ‘threatened’ languages by an instrumental, rationalist component. On the basis of the assumption that they determine particular views of the world, words and languages are deemed to store valuable (or invaluable) cultural and other information and therefore seem to need preservation. Tensions and problems with this use of Whorfoid arguments are discussed. Most importantly, there is a tendency towards the assumption of a deterministic effect of language on thought, which is scientifically obsolete. Furthermore, many authors subscribe to an essentializing view of language instead of a theoretically more appropriate view of languages as phenomena emerging in social and cultural practices. Finally, there is a problem of coherence in that Whorfianism, if used as an argument for linguistic diversity, is not suitable when advocating bilingualism, since psycholinguistic studies systematically show that bilingualism cancels or attenuates Whorfian effects of the first language(s) in the bilingual mind. Zusammenfassung. In diesem Artikel werden Beispiele aus dem sprachenpolitischen Diskurs zur Rettung der sprachlichen Diversität diskutiert. Der besondere Fokus liegt dabei auf der diskursiven Verwendung von als unbestritten präsentierten ‚Theorien‘ über den Zusammenhang von Sprache und Denken. Verschiedene Texte zum Thema werden analysiert, und es wird gezeigt, dass whorfoides Gedankengut im weitesten Sinne herangezogen wird, um dem eher identitätsorientierten und romantischen Diskurs zu Sprachminderheiten und ‚kleinen‘ Sprachen eine rationalistische, instrumentelle Komponente zur Seite zu stellen: Da Wörter und Sprachen für eine jeweils einzigartige Weltsicht stehen, sind sie wertvolle Informationsspeicher und scheinen deshalb zum Wohle der Menschheit erhalten bleiben zu müssen. Spannungen und Probleme, die sich aus diesen Prämissen ergeben, werden diskutiert. Erstens zeigt sich, dass viele Autoren eine deterministische Sicht des Effekts von Sprache auf das Denken haben, die wissenschaftlich obsolet ist. Zweitens wird Sprache in den Texten zu einer Art Wesen hypostasiert und essenzialisiert, statt dass sie als emergentes Phänomen verstanden wird, das sich im Zusammenspiel mit anderen sozialen und kulturellen Praktiken dynamisch entwickelt und anpasst. Drittens stellt sich ein fundamentales Kohärenzproblem, denn viele Diversitäts-Anwälte setzen sich gleichzeitig für großflächige individuelle Zwei- und Mehrsprachigkeit ein, doch hat die psycholinguistische Forschung gezeigt, dass Zweisprachigkeit allfällig präsente subtile whorfianische Effekte der jeweiligen Erstsprache(n) entweder ganz oder teilweise aufhebt. Volker Heeschen: Weltansicht: Beiträge einer Feldforschung in Westneuguinea Summary. This contribution brings into relationship the results of research on Humboldt and his view of linguistic relativity on the one hand, and fieldwork among the speakers of the Eipo and Yale languages in West New Guinea on the other. Examples of correlations and disharmonies between language and worldview are taken from gender antagonism, number words, colors, and odors, the means of spatial deixis and verb serialization. General views of space and time emerge from a whole composed of grammar, myths, and nonverbal codes. In view of positing any kind of linguistic relativity hypothesis, one should be aware of, first, the speaker’s ability to clarify grammatical structures by variation, repairs and semantics, second, the complementarity of language and other codes, third, the reflexivity of language and other codes by means of which new denotations and statements are developing from the nonverbal meanings of other codes, fourth, the interplay and the movements between composite signals and pure verbal symbols. In ‘texts’ qua literature and statements functioning as meta-codes individuals are creative and take an “eccentric position” enabling them to transcend a given worldview and to maintain their proper point of view (Weltansicht). Zusammenfassung. Der Beitrag präsentiert Berührungspunkte zwischen Forschungen, die Humboldt, insbesondere dessen Terminus „Weltansicht“, gelten, und Feldforschungen unter den Eipo und Yalenang in Westneuguinea. Der Geschlechterantagonismus, die Zahlwörter, Farben und Gerüche, Mittel der lokalen Deixis und Verbserialisierung werden als Beispiele für Korrelationen und Disharmonien zwischen Sprache und Weltansicht dargestellt. Ansichten von Raum und Zeit werden aus Grammatik, Mythen und nichtverbalen Kodes gewonnen. Für die Konstruktion eines sprachlichen Weltbildes ist wichtig, dass Sprecher grammatische Strukturen durch Variation, Berichtigungen und Semantik umspielen können, dass sich die Sprache komplementär zu anderen Zeichensystemen verhält, dass sie reflexiv Inhalte aus anderen Zeichenklassen wie etwa den Riten gewinnt und dass sie als Produkt der Entwicklung zwischen zusammengesetzten Signalen und rein sprachlichen Zeichen verstanden werden soll. In Texten zeigt sich die Kreativität der Sprecher und ihre exzentrische, individuell bestimmte Position, in der sie ein Weltbild transzendieren und einen eigenen Standpunkt zur Welt, ihre Weltansicht, artikulieren. Renata Choinka: Sprache und Geschlecht: Zwei unterschiedliche Forschungsperspektiven zur binären Grammatik von Lera Boroditzky und Judith Butler Summary. The paper addresses the grammatical gender and explores the question of how gender in general manifests itself in the complex system of language. In what way does the genus have an impact on how we think (about) gender identities? The linguist and neuroscientist Lera Boroditzky demonstrates in empirical experiments that the grammatical gender encourages gender-stereotyped perceptions of objects. However, since the assignment of the genus is arbitrary, the results should be interpreted more as a symptom than a cause of these mechanisms. The philosopher Judith Butler understands the binary grammar system as a fundamental factor in maintaining the two-gender model and as a discursive horizon of ideas of gender identities. Butler analyzes language in its social context and is able to reveal the normative power of language with her approach. The paper introduces two very different research perspectives in a constructive way. Zusammenfassung. Der vorliegende Beitrag thematisiert das grammatikalische Geschlecht und geht der Frage nach, wie sich Geschlecht in dem komplexen Zeichensystem Sprache manifestiert und auf welche Weise Sprache Einfluss darauf haben kann, wie wir (über) Geschlechteridentitäten denken. Die Linguistin und Neurowissenschaftlerin Lera Boroditzky legt in empirischen Experimenten dar, dass das grammatikalische Geschlecht geschlechterstereotype Wahrnehmungen von Objekten begünstigt. Da die Zuweisung des Genus jedoch als arbiträr bezeichnet werden muss, sollten die Ergebnisse eher als Symptom denn als Ursache dieser Mechanismen gelesen werden. Die Philosophin Judith Butler versteht die binäre Grammatik als einen grundlegenden Faktor in der Aufrechterhaltung des Zwei-Geschlechter-Modells und als diskursiven Vorstellungshorizont von Geschlechteridentitäten. Die normative Kraft der Sprache kann mit Hilfe von Butlers diskurstheoretischem Ansatz im Rahmen ihrer Analyse von Sprache im sozialen Kontext besser herausgestellt werden. Der vorliegende Beitrag bringt insofern zwei sehr unterschiedliche Forschungsperspektiven auf gewinnbringende Weise zusammen. Svenja Bepperling und Holden Härtl: Ereigniskonzeptualisierung im Zweitspracherwerb – Thinking for Speaking im Vergleich von Muttersprachlern und Lernern Summary. The grammatical categories of our language can influence how we conceptualize situations and events (Slobin 1996). A variety of studies have investigated the influence of grammatical aspect on event conceptualization and found language-specific perspectivation strategies (Stutterheim u.a. 2012): Speakers of languages with grammaticized aspect preferentially focus on dynamic event components, while speakers of non-aspect languages conceptualize events holistically by including an inferable resultant state in their verbalizations. In the present study, we are concerned with the following questions: a) Do we find cross-linguistic relativist effects with schematized motion events and b) how does the acquisition of grammatical aspect affect German learners of English in terms of event conceptualization? While we do not find evidence for a language-specific difference between English and German endpoint encoding, English speakers, in contrast to German speakers, tend to omit endpoints more frequently in a verbalization task in comparison to a memorization task. Further, we show that learners encode significantly less endpoints when compared to both English and German native speakers. We argue that the increased cognitive costs connected to the non-habitualized aspect marking affects event perspectivization in learners and point to the complexities of acquiring aspect in the target language. Zusammenfassung. Die grammatischen Eigenheiten unserer Sprache können unsere Konzeptualisierung von Situationen und Ereignissen beeinflussen (siehe Slobin 1996). Eine Reihe von Studien hat den Einfluss des grammatischen Aspekts auf die Ereigniskonzeptualisierung untersucht und sprachspezifische Perspektivierungsstrategien aufgezeigt (siehe Stutterheim u.a. 2012). Sprecher von Sprachen mit grammatikalisiertem Aspekt fokussieren demnach vorzugsweise dynamische Ereigniskomponenten, während Sprecher von Sprachen mit nicht-grammatikalisiertem Aspekt ein Ereignis eher in seiner Gesamtheit konzeptualisieren, indem sie einen inferierbaren Resultatszustand sprachlich kodieren. In der vorliegenden Studie gehen wir der Frage nach, inwiefern sich a) einzelsprachliche, relativistische Effekte auch bei schematisierten Bewegungsereignissen zeigen und b) wie sich der Erwerb der grammatischen Aspektmarkierung bei deutschen Englischlernern auf die Ereigniskonzeptualisierung auswirkt. Während wir keine Evidenz für eine sprachspezifische Endpunkt-Kodierung im einzelsprachlichen Vergleich zwischen deutschen und englischen Muttersprachlern finden, stellen wir fest, dass englische Muttersprachler bei einer Verbalisierungsaufgabe tendenziell weniger Endpunkte kodieren als in einer Memorisierungsaufgabe. Es zeigt sich daneben, dass Lerner signifikant weniger Endpunkte kodieren als Muttersprachler, was wir mit einer grammatischkapazitären Mehrbelastung bei Aspektmarkierung in Zusammenhang bringen. Wir argumentieren, dass sich der kognitive Aufwand einer nicht-habitualisierten Aspektmarkierung auf die Ereignisperspektivierung auswirkt, und richten damit den Fokus auch auf die Komplexität des Aspekterwerbs in der Zielsprache. Nachruf Jarmila Doubravová: In memoriam Ivo Osolsobe (26. 3. 1928 – 27. 9. 2012). Ostension und völlig andere Dinge |
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