Albrecht Neubert ist eine der markantesten und produktivsten
Wissenschaftlerpersönlichkeiten der (extern so genannten) "Leipziger
Übersetzungswissenschaftlichen Schule", aber auch darüber hinaus: Sein über 200
Schriften umfassendes wissenschaftliches Werk ist nicht nur Resultat und Zeugnis
einer immensen Kreativität und Energie, sondern zeigt auch die große Bandbreite
seiner Interessengebiete. Gleichzeitig läßt sich an seinen Publikationen auch
der jeweilige Schwerpunkt seiner Arbeit ablesen: Dieser lag bis Mitte der 60er
Jahre eher auf der Anglistik, danach bis Ende der70er Jahre im Bereich der
Linguistik und verlagerte sich dann in zunehmendem Maße auf die Translatologie.
Sein Themenbogen spannt sich vom Lexem über den Text-in-Situation bis zur
Kulturgeprägtheit von Kommunikation, von der Systemlinguistik und Lexikologie
über die Textlinguistik bis zur Sozio- und Pragmalinguistik. Ob Stilistik,
Diskursanalyse, Translationsdidaktik oder Computereinsatz beim Übersetzen –
Albrecht Neubert hat sich mit nahezu allen Facetten des Übersetzens und
Dolmetschens nicht nur befaßt, sondern auch gründlich und oft richtungsweisend
befaßt. Sein Werk reflektiert nicht nur den Paradigmenwechsel in der
Translation, Albrecht Neubert hat ihn oft bewirkt.
Anläßlich seines 70.
Geburtstages ist diese Festschrift daher dem Jubilar und dem Paradigmenwechsel
in der Translation gewidmet. Dabei wird deutlich, welche dynamische Entwicklung
unser Fach bereits erlebt hat und weiter erlebt. Obgleich der Titel eine gewisse
Bandbreite der Themen ohnehin erwarten läßt, mag es überraschen, wie verschieden
die Blickwinkel sind, unter denen die einzelnen Beitragsautoren einen
Paradigmenwechsel sehen: Die Themen der Beiträge sind ein Spiegel der
Heterogenität sowohl der Forschungs- und Interessengebiete des Jubilars als auch
des Gegenstands der Translatologie. Die Frage der "Interdisziplinarität" der
Translatologie wird notwendigerweise ebenso angesprochen wie beispielsweise
Aspekte der Dolmetschdidaktik; das Spektrum reicht von Details wie etwa dem
Übersetzen von cleft sentences am Beispiel literarischer Texte, der Geschichte
und Kulturspezifik technischer Fachtexte bis hin zur Zukunft des Übersetzens und
Dolmetschens im Lichte der weltweit zunehmenden Rolle des Englischen als
lingua franca. Zu diesem letzten Aspekt liefert die Festschrift
hochinteressante, aktuelle (zwischen Redaktionsschluß und Veröffentlichung
vergingen nur zwei Monate) und bisher unveröffentlichte Zahlen und Fakten. Da
Albrecht Neubert einer der drei bekanntesten Vertreter der "Leipziger
Übersetzungswissenschaftlichen Schule" ist, dürfte – vor allem für Leser aus den
westlichen Ländern – der Beitrag zu diesem Thema sehr erhellend und geeignet
sein, einige Vorurteile zu korrigieren. Auch der tagebuchartige Bericht über die
politischen Rahmenbedingungen der Übersetzungswissenschaft vor der "Wende" und
dem Fall der Mauer ist ein bemerkenswertes Zeitdokument und trägt dazu bei, daß
diese Festschrift – je nach Interessenlage und Vorkenntnissen in parte oder in
toto – eine nicht nur nützliche, sondern auch abwechslungsreiche, geradezu
spannende Lektüre sein kann.
Inhalt der Festschrift
- Ein kurzes Vorwort des Herausgebers
- Verzeichnis der Schriften von Prof. Dr. phil. habil. Albrecht Neubert
- Robert de Beaugrande: The dialectical utopia of theory and
practice in translation
- Monika Doherty: Optimizing parsing and discourse linking by
clefts
- Eberhard Fleischmann / Peter A. Schmitt: Fachsprachliches
Übersetzen – Anstoß zu einem Paradigmenwechsel?
- Heidrun Gerzymisch-Arbogast: ‚Text-bound interpretation‘: Zum
Aufschlußwert der Textdimension für die Dolmetschforschung
- Werner Koller: "Grundfragen der Übersetzungswissenschaft" –
Nachtrag zu Leipzig 1970
- Wladimir Kutz: Pragmatik und Mnemonik beim Dolmetschen: Rezeption
und Gedächtnistechniken
- Peter Newmark: The vocabulary of translation
- Heidemarie Salevsky: Alles fließt... Vasilij Grossman in
amerikanischer, west- und ostdeutscher Übersetzung
- Christina Schäffner: Kontinuität und Erneuerung
- Gregory M. Shreve: Translation at the millennium: Prospects for
the evolution of a profession
- Karl-Heinz Stoll: Zukunftsperspektiven der Translation
- Wolfram Wilss: Interdisziplinarität: ein neues
übersetzungswissenschaftliches Paradigma?
- Gerd Wotjak: War das die Leipziger Übersetzungswissenschaftliche
Schule?
Autorenverzeichnis Personenregister
Pressestimmen: „[...] Der Band ist sehr sorgfältig redigiert
(keine Druckfehler, augen- und leserfreundliche Schriftgröße). Er wird eröffnet
mit einem Schriftenverzeichnis des wissenschaftlichen Œuvres von ALBRECHT
NEUBERT und schließt mit einem beeindruckenden Register der Personen, welche die
Entwicklung der Translation wesentlich bestimmt haben. [...] Der Band zeigt
die wichtigsten Aspekte der Geschichte des Faches auf und dokumentiert den
Wandel in der wissenschaftstheoretischen Fundierung. Mehrere Beiträge arbeiten
präzise neuere Arbeitsschwerpunkte und Positionen heraus und vermitteln
methodologische Zugänge zum Übersetzen. Darüber hinaus wird die vermittelte
Einsicht in das praktizierende Zusammenwirken vieler Fachrichtungen uns
Übersetzungswissenschaftler anregen, über die konzeptuelle Gestaltung der
Translationswissenschaft nachzudenken. Es wäre zu wünschen, dass dieser Band
einen breiten Leserkreis findet. Sigrid Kupsch-Losereit, in: Lebende
Sprachen Nr. 1/2001
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