Stephan K. Schindler
Eingebildete Körper
Phantasierte Sexualität in der Goethezeit

Band 49, 2001, 258 Seiten
EUR 40,30
ISBN 3-86057-149-4
Reihe: Stauffenburg Colloquium


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Die diskursanalytische Studie Eingebildete Körper untersucht die innersubjektive Dimension von Sexualität, wie sie sich in der Goethezeit im Rahmen der fiktiven Konstituierung der bürgerlichen Lebenswelt herausbildet. Mit der vom ästhetischen Ideal geforderten moralischen Vergeistigung des Körperlichen verschiebt sich auch die Sexualität von der sinnlichen Erfahrung in den Bereich der Phantasie, die die reale Geschlechtsbeziehung präfiguriert oder dem sexuellen Begehren in der Autoerotik Befriedigung verschafft. Während die popularphilosophische , pädagogische und anthropologische Anti-Masturbationskampagne diese Erotisierung der Einbildungskraft als moderne Zivilisationskrankheit diskreditiert, inszeniert die Literatur Lust und Leid an der sexuellen “virtual reality”. Exemplarisch wird am Werther der Prototyp des romantisch-narzißtischen Liebhabers analysiert, der zwar die soziale Kontrolle der sexuellen Körper mit Hilfe der Phantasie überwindet, sich aber zugleich so in seine sexuellen Einbildungen verfängt, daß ihm die halluzinatorische Autoerotik zunehmend die intersubjektive Liebe ersetzt. Wird die männliche Sexualität vom Phantasma der Selbstbezüglichkeit bedroht, so entzieht sich die weibliche bereits der symbolisch-kulturellen Signifikation. Angesichts der von den Geschlechtsanthropologen imaginierten Weiblichkeit schwankt die literarische Selbst(re)präsentation von Frauensexualität zwischen der Entsagung der schönen Seele (Sternheim) und der Ausschweifung der moralisch Verfehlten (Julchen Grünthal), wobei aber beiden Frauenfiguren erfüllende Sexualität versagt bleibt. In der zeitgenössischen Lesewut-Debatte hingegen wird die Erotisierung des nur Vorgestellten in der weiblichen Romanlektüre zur geschlechtstypischen Krankheit erklärt. Schließlich erscheint der eingebildete sexuelle Körper auch in der ersten modernen Psychotherapie. E.T.A. Hoffmanns Poetisierung des Mesmerismus entwirft Figuren des Begehrens, deren Verstrickung im Imaginären das Freudsche Subjekt vorwegnimmt. Um 1800 ist die körperliche Liebe eine gigantische Phantasieproduktion, die nicht nur die rigiden Normen legitimer Sexualität unterminiert, sondern auch dem begehrenden Subjekt die Erfüllung seiner/ihrer Wünsche im Realen versperrt.


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