Mit diesem Band liegt das Hauptwerk von
Homi K. Bhabha erstmals komplett in deutscher Übersetzung vor. Kein Denker hat
die Problematik der Verortung der Kultur so prägnant auf den Punkt gebracht wie dieser „anglisierte
postkoloniale Migrant, der zufällig ein Literaturwissenschaftler mit leicht
französischem Einfluß ist“ – so Bhabhas Selbstcharakterisierung. In einer
virtuosen, beziehungsreichen Sprache legt er dar, daß in postkolonialen Zeiten
das „Wesen“ oder der „Ort“ der Kultur nicht mehr als einheitlich, geschlossen
verstanden werden kann. Derartigen Vorstellungen hält der Theoretiker der
Hybridität sein Konzept des „Dritten Raumes“ entgegen, das über die geläufigen
Polaritäten wie Ich – Anderer, Dritte Welt – Erste Welt weit
hinausgeht.
Die in der Verortung der Kultur versammelten Texte zählen zu
den innovativsten und einflußreichsten Arbeiten der aktuellen Literaturtheorie
und Kulturwissenschaft. Eine ernstzunehmende Beschäftigung mit postkolonialen
oder multikulturellen Fragen ist – wie Toni Morrison einmal sagte – ohne eine
Lektüre von Homi K. Bhabhas Werk schlicht undenkbar.
Mehr Homi K. Bhabha im Stauffenburg
Verlag:
Pressestimmen / Book reviews:
-
“In Zeiten krisenhafter Verunsicherung klammert man sich an vertraute
Erklärungsschemata und Autoritäten. Nach den Terroranschlägen von New York und
Washington bescherte uns dieser Reflex nicht nur die jüngste TV-Reaktivierung
von Peter Scholl-Latour, dem Erich Ribbeck der Islamexperten, sondern auch die
triumphale Auferstehung der aus gutem Grund totgesagten These Samuel
Huntingtons vom „Kampf der Kulturen“. Höchste Zeit also, sich vertraut zu
machen, mit Gegenelixieren gegen die falschen Vereinfacher, mit anderen
Theorien der Kultur im Plural. Zum Beispiel mit denen Homi K. Bhabhas,
Professor für englische Literatur an der Universität Chicago und laut
Newsweek einer der „100 people for the new century“. [...]” David
Lauer in: taz, die tageszeitung, 25. 9.2001
- “Die Übersetzung von Die
Verortung der Kultur [war] überfällig.
Denn das Hybride geistert längst durch deutschsprachige Debatten, und zwar als
positives Leitbild: als Mix, als Flexibles, als Multikulturelles
...”
René Aguigah in: LITERATUREN 2, herausgegeben von Sigrid Löffler,
Hanna Leitgeb, Jan Bürger
- “Homi Bhabha is one of that small group occupying the front ranks of
literary and cultural theoretical thought. Any serious discussion of
postcolonial/postmodern scholarship is inconceivable with referencing Mr.
Bhabha.”
Toni Morrison, Princeton University
- „Die deutsche Übersetzung einer Auswahl seiner Essays, die Homi K. Bhabha
1994 in London und New York unter dem Titel „The Location of Culture“
veröffentlicht hat, kommt gerade rechtzeitig, um als Kommentar und Schlusswort
zur Diskussion um den Begriff „Leitkultur“ gelesen werden zu
können.“
Leo
Kreutzer in: Karin Beindorffs Sendung „Politische
Literatur“,Deutschlandfunk, 22.01.2001
- „In den Vereinigten Staaten und Großbritannien wird bereits seit geraumer
Zeit über neue Konzeptionen von Identität geredet – das Schlüsselwort heißt
„Postkolonialismus“. Die Bekanntesten Vertreter dieser heterogenen Diskussion
sind Edward Said, Gayatri Spivak und vor allem Homi Bhabha, der in Bombay
geborene Literaturwissenschaftler, der an der Universität von Chicago
Anglistik lehrt. [...] nun [ist] sein Hauptwerk The Location of Culture auf Deutsch erschienen. Im angloamerikanischen Raum war dieses Buch eines
der einflußreichsten theoretischen Werke der neunziger Jahre.“
Mark Terkessidis, Die Zeit, 08.02.2001, S.47.
- Rezension von Wolfgang Müller-Funk in der Süddeutschen Zeitung, Samstag/Sonntag, 17./18.
Februar 2001, Seite V
Das unmögliche Dritte Homi K. Bhabha analysiert Kultur in der
postkolonialen Welt
Der Verlag hatte das Buch bereits für 1997
angekündigt – doch der Zugang ist nicht einfach zum Werk des Kulturphilosophen
Homi K. Bhabha. Nicht zuletzt deshalb, weil es unübersetzbar ist – Michael
Schiffmann und Jürgen Freudl haben sich der Sisyphos-Aufgabe recht tapfer
gestellt. Der Grund für die Hermetik dieses Werkes ist zum einen die
Abstraktheit eines politisch angewandten Lacanianismus, der selbstverliebt in
der schillernden Welt der Bedeutungen mäandert, zum anderen ein kultureller
Hintergrund, der den deutschsprachigen Lesern mehr oder minder fremd ist – der
Postkolonialismus, das heißt die Anwesenheit von Menschen fremder Herkunft in
den ehemaligen Kolonialländern: Migration von der ehemaligen Kolonie ins
einstige Zentrum kolonialer Macht, Diaspora, Exil, Hybridität, doppelte
Identität und doppelte Differenz zugleich. Es ist kein Zufall, dass Bhabhas Buch
zumeist auf die literarisch formulierten postkolonialen Erfahrungen
zurückgreift, wie sie bei J. M. Coetzee und Salman Rushdie, Toni Morrison und
Nadine Gordimer ihren Niederschlag gefunden haben. Und vor allem auf das
autobiografisch geprägte Werk von Frantz Fanon.
Man würde dem Buch
Unrecht tun, wenn man es als ein Plädoyer für einen fröhlichen pluralistischen
Multikulturalismus verstünde. Nicht um ein sorgloses Nebeneinander kultureller
Vielfalt geht es, sondern um die durchaus schmerzhaften sozialen Beziehungen
zwischen den Kulturen, die noch immer im Schatten des Kolonialismus und der
durch ihn gezeitigten Diskurse stehen. Diese Bezugnahme verändert die Identität
sowohl der Enkel der Sklaven und kolonial Unterdrückten wie auch der Erben der
Kolonisatoren.
Bhabhas Buch ist in dreifacher Hinsicht aufschlußreich:
Zunächst formuliert es, pointierter als andere Bücher im Umfeld der Cultural
Studies, eine Abkehr von moralisierender und linearer Ideologiekritik. Zugleich
aber bricht der Autor mit dem binären Modell marxistischer Freund-Feind-Politik.
Schließlich eröffnet er, zögerlich-skeptisch, einen utopischen Raum für eine
neue Politik jenseits der schroffen Identitätspolitik der „erfundenen
Gemeinschaften“ (Benedict Anderson), der Nationen.
Was darüber
hinausgeht
Auch wenn es Bhabha gelegentlich zu dementieren trachtet,
ist die Postmoderne ganz im Gegensatz zu ihrem Selbstverständnis utopisch
besetzt, nämlich von dem, was Bhabha als das „darüber Hinausgehende (beyond)“
bezeichnet, als das unmögliche Dritte, repräsentiert durch den Fremden,
Heimatlosen, in seiner kulturellen Zugehörigkeit Gespaltenen. Im einschlägigen
Diskurs der amerikanischen und englischen Cultural Studies heißt er –
überraschend unsensibel – „Hybrid“. Am kritischen Bewußtsein vorbei reproduziert
sich in dieser Metapher (Hybriden sind nicht reproduktionsfähige
Artenkreuzungen) jenes biologistische Dispositiv, das vormals dem rassistischen
Bewußtsein den Anschein von Objektivität verlieh.
Der Ort der
postmodernen Utopie ist ein „Zwischen-Raum“, ein transitorischer Nicht-Ort
schlechthin, ein „Moment des Übergangs, wo Raum und Zeit sich kreuzen“. Aus
dieser Perspektive des (un)freiwilligen Migranten erzählt Bhabha, intellektuell
hochgerüstet mit eurozentrischer Philosophie, seine Version der (Post-)Moderne.
Allein schon das Dasein dieser hybriden Konfiguration, die die westlichen
Kolonialmächte von einst an ihre eigene Vergangenheit erinnert, macht die
Diskontinuitäten sichtbar, die in der großen Erzählung vom kontinuierlichen,
universal gefaßten Fortschritt verschwiegen sind. In diesem kulturellen
„Treppenhaus“, auf der „Brücke“ (Heidegger) gewissermaßen, wird aber zudem eine
„Solidarität aus der Zwischenperspektive“ denkbar, die nicht mehr an die großen
binären Oppositionen wie Klasse und Geschlecht geknüpft ist.
Der
Postkolonialismus erweist sich als „heilsame Erinnerung an die fortdauernden
‚neokolonialen’ Beziehungen innerhalb der ‚neuen’ Weltordnung und
multinationalen Arbeitsteilung“, und er bezieht sich auf Orte, die anders sind
als die stets kulturell homogen gedachte Moderne.
Diesen Ort der
Begegnung sucht Bhabha auf, wobei er nicht auf das dialektische Modell von Herr
und Knecht (bei Hegel und in dessen Gefolge bei Marx) zurückgreift, sondern
vielmehr – wie schon zuvor Julia Kristeva – Lacans Begriff der Alterität und
Freuds Begriff des Unheimlichen adaptiert. Die klassische Ideologiekritik
verwirft Bhabha auch deswegen, weil sie einen unbeteiligten Beobachter und
Erzähler insinuiert, der exakt zwischen Projektion und Realität zu unterscheiden
vermöchte. In Wirklichkeit sind aber beide, Herr und Knecht, in demselben
Diskurs ge- und befangen.
Die Herren und die Knechte
Schon
Fanon hat angemerkt, dass der „von seiner Minderwertigkeit versklavte Neger“ und
„der von seiner Überlegenheit versklavte Weiße“ sich in neurotischer
Übereinstimmung befinden. Die Position des Einheimischen kulminiert in der
Fantasie, die Stelle des Herrn einzunehmen und gleichzeitig seinen Platz als
wütender Sklave zu behalten. Das Instrumentarium Freuds und Lacans gestattet es,
die Gespaltenheit beider Subjekte ins Blickfeld zu rücken, denn auch der
Kolonialherr ist hin- und hergerissen zwischen Verachtung und heimlichem
Begehren, etwa, wenn er den Fremden als sexuell übermächtig fantasiert und
beneidet.
Ganz offenkundig verwechselt Bhabha aber den Anderen mit dem
Fremden. Pointiert läßt sich nämlich sagen, dass der Andere eine universale
Konfiguration darstellt, der Fremde hingegen nicht. In einem gewissen Sinn ist
der Fremde jener, der nicht als der Andere meiner selbst akzeptiert wird, als
die andere Seite meiner Selbst, wie es der jüdisch-christliche Universalismus
nahelegt. Was der Herr dem Knecht verweigert und worum jener beinahe mit allen
Mitteln kämpft, ist die Anerkennung der Ebenbürtigkeit als Anderer. So markiert
die Konzentration auf das Fremde immer spezifische Situationen des
Kulturkampfes. Insofern ist die fortgesetzte Obsession für das jeweils Fremde
Ausdruck fortdauernder kultureller und politischer Asymmetrie.
Bhabha
verteidigt gegen radikal kulturalistische Positionen die kritische Tradition
„westlichen bürgerlichen“ Denkens und das theoretische Engagement, das er als
Teil politischer Praxis versteht. Mit John Stuart Mill begreift er das
Politische als einen Ort der Verhandlung, an dem auch das Schreiben als sozialer
Akt wirksam ist. Die Bezugnahme auf diesen Ort macht indes deutlich, dass der
dritte Ort, den Bhabha für sich reklamiert, sich nicht an einem Rand befindet,
sondern inmitten der postmodernen Zivilgesellschaft des Westens – wo der Blick
auf sich selbst selbstverständlich geworden ist. Wolfgang Müller-Funk, Süddeutsche Zeitung, Samstag/Sonntag, 17./18. Februar 2001, Seite
V
Wolfgang Müller-Funk ist Professor für German Cultural Studies an der
Universität Birmingham und externes Mitglied der Universitäten Wien und
Klagenfurt (E-Mail W.
Müller-Funk) (Homepage W.
Müller-Funk)
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