Homi K. Bhabha
Die Verortung der Kultur
Deutsche Übersetzung von Michael Schiffmann und Jürgen Freudl
Mit einem Vorwort von Elisabeth Bronfen

Besprochen in Literaturen 2
Band 5, 2000, XIV, 408 Seiten
EUR 33,-
ISBN 978-3-86057-033-3
Reihe: Stauffenburg Discussion


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Mit diesem Band liegt das Hauptwerk von Homi K. Bhabha erstmals komplett in deutscher Übersetzung vor. Kein Denker hat die Problematik der Verortung der Kultur so prägnant auf den Punkt gebracht wie dieser „anglisierte postkoloniale Migrant, der zufällig ein Literaturwissenschaftler mit leicht französischem Einfluß ist“ – so Bhabhas Selbstcharakterisierung. In einer virtuosen, beziehungsreichen Sprache legt er dar, daß in postkolonialen Zeiten das „Wesen“ oder der „Ort“ der Kultur nicht mehr als einheitlich, geschlossen verstanden werden kann. Derartigen Vorstellungen hält der Theoretiker der Hybridität sein Konzept des „Dritten Raumes“ entgegen, das über die geläufigen Polaritäten wie Ich – Anderer, Dritte Welt – Erste Welt weit hinausgeht.

Die in der Verortung der Kultur versammelten Texte zählen zu den innovativsten und einflußreichsten Arbeiten der aktuellen Literaturtheorie und Kulturwissenschaft. Eine ernstzunehmende Beschäftigung mit postkolonialen oder multikulturellen Fragen ist – wie Toni Morrison einmal sagte – ohne eine Lektüre von Homi K. Bhabhas Werk schlicht undenkbar.



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Pressestimmen / Book reviews:

  • “In Zeiten krisenhafter Verunsicherung klammert man sich an vertraute Erklärungsschemata und Autoritäten. Nach den Terroranschlägen von New York und Washington bescherte uns dieser Reflex nicht nur die jüngste TV-Reaktivierung von Peter Scholl-Latour, dem Erich Ribbeck der Islamexperten, sondern auch die triumphale Auferstehung der aus gutem Grund totgesagten These Samuel Huntingtons vom „Kampf der Kulturen“. Höchste Zeit also, sich vertraut zu machen, mit Gegenelixieren gegen die falschen Vereinfacher, mit anderen Theorien der Kultur im Plural. Zum Beispiel mit denen Homi K. Bhabhas, Professor für englische Literatur an der Universität Chicago und laut Newsweek einer der „100 people for the new century“. [...]”
    David Lauer in: taz, die tageszeitung, 25. 9.2001

  • “Die Übersetzung von Die Verortung der Kultur [war] überfällig. Denn das Hybride geistert längst durch deutschsprachige Debatten, und zwar als positives Leitbild: als Mix, als Flexibles, als Multikulturelles ...”
    René Aguigah in: LITERATUREN 2, herausgegeben von Sigrid Löffler, Hanna Leitgeb, Jan Bürger

  • “Homi Bhabha is one of that small group occupying the front ranks of literary and cultural theoretical thought. Any serious discussion of postcolonial/postmodern scholarship is inconceivable with referencing Mr. Bhabha.”
    Toni Morrison, Princeton University

  • „Die deutsche Übersetzung einer Auswahl seiner Essays, die Homi K. Bhabha 1994 in London und New York unter dem Titel „The Location of Culture“ veröffentlicht hat, kommt gerade rechtzeitig, um als Kommentar und Schlusswort zur Diskussion um den Begriff „Leitkultur“ gelesen werden zu können.“
    Leo Kreutzer in: Karin Beindorffs Sendung „Politische Literatur“,Deutschlandfunk, 22.01.2001

  • „In den Vereinigten Staaten und Großbritannien wird bereits seit geraumer Zeit über neue Konzeptionen von Identität geredet – das Schlüsselwort heißt „Postkolonialismus“. Die Bekanntesten Vertreter dieser heterogenen Diskussion sind Edward Said, Gayatri Spivak und vor allem Homi Bhabha, der in Bombay geborene Literaturwissenschaftler, der an der Universität von Chicago Anglistik lehrt. [...] nun [ist] sein Hauptwerk The Location of Culture auf Deutsch erschienen. Im angloamerikanischen Raum war dieses Buch eines der einflußreichsten theoretischen Werke der neunziger Jahre.“
    Mark Terkessidis, Die Zeit, 08.02.2001, S.47.

  • Rezension von Wolfgang Müller-Funk in der Süddeutschen Zeitung, Samstag/Sonntag, 17./18. Februar 2001, Seite V

Das unmögliche Dritte
Homi K. Bhabha analysiert Kultur in der postkolonialen Welt

Der Verlag hatte das Buch bereits für 1997 angekündigt – doch der Zugang ist nicht einfach zum Werk des Kulturphilosophen Homi K. Bhabha. Nicht zuletzt deshalb, weil es unübersetzbar ist – Michael Schiffmann und Jürgen Freudl haben sich der Sisyphos-Aufgabe recht tapfer gestellt. Der Grund für die Hermetik dieses Werkes ist zum einen die Abstraktheit eines politisch angewandten Lacanianismus, der selbstverliebt in der schillernden Welt der Bedeutungen mäandert, zum anderen ein kultureller Hintergrund, der den deutschsprachigen Lesern mehr oder minder fremd ist – der Postkolonialismus, das heißt die Anwesenheit von Menschen fremder Herkunft in den ehemaligen Kolonialländern: Migration von der ehemaligen Kolonie ins einstige Zentrum kolonialer Macht, Diaspora, Exil, Hybridität, doppelte Identität und doppelte Differenz zugleich. Es ist kein Zufall, dass Bhabhas Buch zumeist auf die literarisch formulierten postkolonialen Erfahrungen zurückgreift, wie sie bei J. M. Coetzee und Salman Rushdie, Toni Morrison und Nadine Gordimer ihren Niederschlag gefunden haben. Und vor allem auf das autobiografisch geprägte Werk von Frantz Fanon.

Man würde dem Buch Unrecht tun, wenn man es als ein Plädoyer für einen fröhlichen pluralistischen Multikulturalismus verstünde. Nicht um ein sorgloses Nebeneinander kultureller Vielfalt geht es, sondern um die durchaus schmerzhaften sozialen Beziehungen zwischen den Kulturen, die noch immer im Schatten des Kolonialismus und der durch ihn gezeitigten Diskurse stehen. Diese Bezugnahme verändert die Identität sowohl der Enkel der Sklaven und kolonial Unterdrückten wie auch der Erben der Kolonisatoren.

Bhabhas Buch ist in dreifacher Hinsicht aufschlußreich: Zunächst formuliert es, pointierter als andere Bücher im Umfeld der Cultural Studies, eine Abkehr von moralisierender und linearer Ideologiekritik. Zugleich aber bricht der Autor mit dem binären Modell marxistischer Freund-Feind-Politik. Schließlich eröffnet er, zögerlich-skeptisch, einen utopischen Raum für eine neue Politik jenseits der schroffen Identitätspolitik der „erfundenen Gemeinschaften“ (Benedict Anderson), der Nationen.

Was darüber hinausgeht

Auch wenn es Bhabha gelegentlich zu dementieren trachtet, ist die Postmoderne ganz im Gegensatz zu ihrem Selbstverständnis utopisch besetzt, nämlich von dem, was Bhabha als das „darüber Hinausgehende (beyond)“ bezeichnet, als das unmögliche Dritte, repräsentiert durch den Fremden, Heimatlosen, in seiner kulturellen Zugehörigkeit Gespaltenen. Im einschlägigen Diskurs der amerikanischen und englischen Cultural Studies heißt er – überraschend unsensibel – „Hybrid“. Am kritischen Bewußtsein vorbei reproduziert sich in dieser Metapher (Hybriden sind nicht reproduktionsfähige Artenkreuzungen) jenes biologistische Dispositiv, das vormals dem rassistischen Bewußtsein den Anschein von Objektivität verlieh.

Der Ort der postmodernen Utopie ist ein „Zwischen-Raum“, ein transitorischer Nicht-Ort schlechthin, ein „Moment des Übergangs, wo Raum und Zeit sich kreuzen“. Aus dieser Perspektive des (un)freiwilligen Migranten erzählt Bhabha, intellektuell hochgerüstet mit eurozentrischer Philosophie, seine Version der (Post-)Moderne. Allein schon das Dasein dieser hybriden Konfiguration, die die westlichen Kolonialmächte von einst an ihre eigene Vergangenheit erinnert, macht die Diskontinuitäten sichtbar, die in der großen Erzählung vom kontinuierlichen, universal gefaßten Fortschritt verschwiegen sind. In diesem kulturellen „Treppenhaus“, auf der „Brücke“ (Heidegger) gewissermaßen, wird aber zudem eine „Solidarität aus der Zwischenperspektive“ denkbar, die nicht mehr an die großen binären Oppositionen wie Klasse und Geschlecht geknüpft ist.

Der Postkolonialismus erweist sich als „heilsame Erinnerung an die fortdauernden ‚neokolonialen’ Beziehungen innerhalb der ‚neuen’ Weltordnung und multinationalen Arbeitsteilung“, und er bezieht sich auf Orte, die anders sind als die stets kulturell homogen gedachte Moderne.

Diesen Ort der Begegnung sucht Bhabha auf, wobei er nicht auf das dialektische Modell von Herr und Knecht (bei Hegel und in dessen Gefolge bei Marx) zurückgreift, sondern vielmehr – wie schon zuvor Julia Kristeva – Lacans Begriff der Alterität und Freuds Begriff des Unheimlichen adaptiert. Die klassische Ideologiekritik verwirft Bhabha auch deswegen, weil sie einen unbeteiligten Beobachter und Erzähler insinuiert, der exakt zwischen Projektion und Realität zu unterscheiden vermöchte. In Wirklichkeit sind aber beide, Herr und Knecht, in demselben Diskurs ge- und befangen.

Die Herren und die Knechte

Schon Fanon hat angemerkt, dass der „von seiner Minderwertigkeit versklavte Neger“ und „der von seiner Überlegenheit versklavte Weiße“ sich in neurotischer Übereinstimmung befinden. Die Position des Einheimischen kulminiert in der Fantasie, die Stelle des Herrn einzunehmen und gleichzeitig seinen Platz als wütender Sklave zu behalten. Das Instrumentarium Freuds und Lacans gestattet es, die Gespaltenheit beider Subjekte ins Blickfeld zu rücken, denn auch der Kolonialherr ist hin- und hergerissen zwischen Verachtung und heimlichem Begehren, etwa, wenn er den Fremden als sexuell übermächtig fantasiert und beneidet.

Ganz offenkundig verwechselt Bhabha aber den Anderen mit dem Fremden. Pointiert läßt sich nämlich sagen, dass der Andere eine universale Konfiguration darstellt, der Fremde hingegen nicht. In einem gewissen Sinn ist der Fremde jener, der nicht als der Andere meiner selbst akzeptiert wird, als die andere Seite meiner Selbst, wie es der jüdisch-christliche Universalismus nahelegt. Was der Herr dem Knecht verweigert und worum jener beinahe mit allen Mitteln kämpft, ist die Anerkennung der Ebenbürtigkeit als Anderer. So markiert die Konzentration auf das Fremde immer spezifische Situationen des Kulturkampfes. Insofern ist die fortgesetzte Obsession für das jeweils Fremde Ausdruck fortdauernder kultureller und politischer Asymmetrie.

Bhabha verteidigt gegen radikal kulturalistische Positionen die kritische Tradition „westlichen bürgerlichen“ Denkens und das theoretische Engagement, das er als Teil politischer Praxis versteht. Mit John Stuart Mill begreift er das Politische als einen Ort der Verhandlung, an dem auch das Schreiben als sozialer Akt wirksam ist. Die Bezugnahme auf diesen Ort macht indes deutlich, dass der dritte Ort, den Bhabha für sich reklamiert, sich nicht an einem Rand befindet, sondern inmitten der postmodernen Zivilgesellschaft des Westens – wo der Blick auf sich selbst selbstverständlich geworden ist.
Wolfgang Müller-Funk,
Süddeutsche Zeitung, Samstag/Sonntag, 17./18. Februar 2001, Seite V

Wolfgang Müller-Funk ist Professor für German Cultural Studies an der Universität Birmingham und externes Mitglied der Universitäten Wien und Klagenfurt
(E-Mail W. Müller-Funk)
(Homepage W. Müller-Funk)


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